28.03.2025 von SWYRL/Maximilian Haase
Abschiebungen, Menschenschmuggel, Polizeigewalt: Nach zweieinhalb Jahren kehrt Lars Beckers ZDF-Krimireihe "Nachtschicht" im neuen Fall "Der Unfall" gleich mit mehreren harten Themen zurück. Nach dem gewaltsamen Tod eines Iraners ermitteln die Kommissare um Armin Rohde gegen die eigenen Kollegen.
Lange mussten sich die Fans außergewöhnlicher Krimis gedulden: Zweieinhalb Jahre nach dem letzten Film feiert die ZDF-Thrillerreihe "Nachtschicht" nun mit dem 19. Fall ein Mini-Comeback. Und das hat es wie gewohnt in sich: Regisseur und Autor Lars Becker erzählt eine Geschichte von Polizeigewalt, Abschiebepolitik und menschlichem Versagen - packend, authentisch und realistisch. Wie viel Brisanz kann man in einem Krimi unterbringen? "Nachtschicht: Der Unfall" macht es eindrücklich vor. Hochaktuelle und explosive gesellschaftliche Themen flankieren die spannenden - und wie immer mit trockendem Witz garnierten - Ermittlungen des Hamburger KDD-Teams um Erichsen alias Armin Rohde.
Schon der actionreiche Einstieg lässt den Atem stocken: Der Iraner Joon Rostami (Altamasch Noor) soll abgeschoben werden, doch er widersetzt sich. In einem Handgemenge gelingt es ihm, die Waffe des Polizisten Roland Orbach (in Bestform: Maximilian Brückner) an sich zu reißen. Gerade als die Situation sich beruhigt, schießt die junge Polizistin Mona Nowak (Rocío Luz) - aus vermeintlicher Notwehr. Rostami stirbt vor aller Augen. Was folgt, ist eine nervenaufreibende Untersuchung, in der sich die Ermittler plötzlich gegen die eigenen Kollegen stellen müssen. "Irgendwer muss ja ermitteln", kommentiert Kommissar Erichsen (Rohde) trocken. Nach Drogendealern, Neonazis, Zuhältern und Co. nimmt sich Krimi-Experte Becker in einem gewohnt düsteren Thriller mit gebotener Ernsthaftigkeit und gehörigem Galgenhumor nun die Abgründe in der Polizei vor.
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Wer sind die Nutznießern der Verzweiflung?
Das Team rund um Erichsen taucht - mit Hilfe der alten Bekannten Mimi Hu (Minh-Khai Phan-Thi) - tief in den Fall ein: War es wirklich Notwehr? Immerhin geht der nachvollziehbar verstört gespielten Polizistin die Fluchtgeschichte des Toten ziemlich nahe - "Muss ich aber ausblenden. Wir schieben ab".
Welche Verbindungen gibt es zu illegalen Machenschaften am Flughafen, wo Rostamis schwangere Frau Hasty (Sogol Faghani) als Reinigungskraft arbeitet? Während sie den Tod ihres Mannes nicht wahrhaben will, ist ihr Chef Mario Trudda (Marcel Heuperman) ebenso wie Schleuser Bas Petros (Selam Tadese) einer, der "von Menschen profitiert, die Angst haben". Ein vermisster Zeuge und eine brisante Videoaufnahme führen die Ermittler auf eine dunkle Spur.
Es geht um Menschenschmuggel, Ausbeutung und das Schicksal der von allen Seiten wie Müll behandelten Geflüchteten. Schonungslos erzählt der Krimi von den Nutznießern der Verzweiflung - und von jenen, die im Versuch, dem Treiben Einhalt zu gebieten, selbst ihre Menschlichkeit zu verlieren drohen. Sie sind "Täter und Opfer zugleich", wie es Maximilian Brückner im ZDF-Interview zum Film klug formuliert.
Strukturelle Probleme bei der Polizei
An seiner Figur, dem autoritären Cop Orbach, zeigt sich exemplarisch, was der Krimi mit realistischem Blick herausarbeitet: Strukturelle Probleme innerhalb der Polizei, von Unterbesetzung bis Überarbeitung, die Mauschelei und Rassismus begünstigen. Sprüche wie Ausländer hätten "keine Manieren", "Frauen sind für so einen Einsatz nicht gemacht" oder "Wer zuerst schießt, überlebt" lassen erahnen, welches Mindset hier regiert.
Orbach wurde durch die politischen Rahmenbedingungen seiner Arbeit moralisch deformiert, er ist "das negative Produkt einer fehlgeleiteten Asylpolitik" so Brückner: "Polizisten müssen tagtäglich die Abschiebepraxis der jeweiligen Regierung umsetzen. Sie müssen von Mensch zu Mensch diese Entscheidungen umsetzen, die im Beamtendeutsch sehr abstrakt wirken, in der Realität aber ihre ganze Grausamkeit entfalten". Eine harte Wahrheit, die der "Nachtschicht"-Film wie immer schonungslos auf den Tisch knallt.
"Er ist mit mir und ich mit ihm gealtert"
Wie alle "Nachtschicht"-Folgen besticht auch "Der Unfall" durch eine dokumentarische Nähe. Das Drehbuch werde "während des Drehs auch ständig weiterentwickelt", lobt Brückner die besondere Arbeitsweise von Regisseur Becker. Visuell sorgt die düstere, kühle Bildsprache für eine beklemmende Atmosphäre. Auch, weil fast alle Szenen in der Nacht spielen - das Markenzeichen der beliebten Reihe. Dabei hinterlassen die Nachtdrehs Spuren, wie Brückner verrät: "Die Darsteller sehen ständig übermüdet aus und müssen das nicht behaupten."
"Nachtschicht - Der Unfall" ist ein Film, der die Zuschauer herausfordert, der hochrelevante Fragen aufwirft und im Blick auf gesellschaftliche Missstände die unbequeme Realität nicht scheut. Mit starken Darstellern, einem pointierten Drehbuch und einer dichten Inszenierung beweist Lars Becker erneut, warum "Nachtschicht" zu den besten Krimireihen im deutschen TV zählt.
Das liegt vor allem an Armin Rohde, dem Erichsen "schon sehr ans Herz gewachsen" sei, wie er gesteht. "Er ist mit mir und ich mit ihm gealtert", so der Schauspieler, der in diesem April 70 Jahre alt wird. Die kongeniale Zusammenarbeit mit Becker, die man seit drei Jahrzehnten und zudem in der nicht minder grandiosen Krimireihe "Der gute Bulle" bewundern darf, "ist inzwischen ein nicht mehr wegzudenkender Teil meines Berufsleben geworden", Und das freut auch das Publikum.