05.12.2021 von SWYRL/Jürgen Winzer
Gottschalk disst Bohlen, Chris Tall trauert um Mirco Nontschew, Lola Weippert ist im nervenden Dauerjubelmodus und Prinz Poldi wird von einer erbosten Künstlerin beinahe umgeblutgrätscht. Die Highlights bei "Das Supertalent" hatten wenig mit Talenten zu tun.
Der Extremkünstler Muy Moi (der mit dieser Show schon in einem halben Dutzend anderen "Supertalent"-Shows in Europa und Amerika auftrat) verrenkte sich, spuckte und schluckte Feuer und ließ mit dem Hammer Steinquader zertrümmern, die auf seinem Körper ruhten - während er auf einem Bett aus Machetenklingen lag. Kurz: Die Performance ist wie ein Autounfall - man will eigentlich nicht, muss aber hingucken. Das ist der Unterschied zu "Das Supertalent" (RTL). Da kann man abschalten. Und das tun ja auch immer mehr Fernsehwegschauer, die Quoten sinken.
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Das Voting der Show bleibt undurchsichtig
Das hat Gründe, und die wurden beim zweiten Halbfinale deutlich. Es galt aus zehn Halbfinalisten drei Finalisten herauszusieben. Das taten einerseits die diesmal vier Juroren. Chantal Janzen, Michael Michalsky, Lukas Podolski und Thomas Gottschalk bewerteten jede Künstlerleistung mit Sternen. Jeder hatte bis zu fünf zu vergeben, die Traumgesamtnote war also eine 20. Die Jury-Bewertung war für einen Finalanwärter aber nur die halbe Miete. Denn auch die Fans an den Bildschirmen entschieden - ziemlich oldschool mit kostenpflichtigem Telefon- und SMS-Voting. Ihr Votingergebnis wurde dem Jury-Voting gegenübergestellt und daraus wurden die Finalisten errechnet.
Nur: Das bekam keiner mit. Kein Endstand, nicht einmal ein Fan-Voting-Ergebnis wurde eingeblendet. Das Jury-Voting war wenigstens kurz zu sehen. Das Endergebnis überreichte ein Notar, der sich unglaublich schnell wieder trollte. Er wird wissen, warum. Warum aber die ganze Sterneverteilerei durch die Promi-Jury, wenn das alles im entscheidenden Moment unter den Tisch fällt?
Viele nette Auftritte, aber keine Sensationen
Ein anderes Problem: die Performances. Die zehn im zweiten Halbfinale waren alle nett, keine Frage. Nur: Wie sagte einst Dieter Bohlen, dessen Geist über jeder Episode von "Das Supertalent" schwebte (und es auch bei DSDS im Januar tun wird): "Nett ist die kleine Schwester von Scheiße."
Der Echomann. Ja, das ist schon kurios, dass Alfonso Rodrigues mit dem Mund Echos erzeugen und nachahmen kann. Aber "Supertalent"? "Das ist witzig", sagte Michael Michalsky. Und Lukas Podolski meinte: "Die Achterbahn auf dem Rummel könntest du als Ansager zum Verkaufsschlager machen." Treffer!
Agnieszka Szkudlarek hat sicher eine schöne Geschichte zu erzählen (sie fuhr fürs Casting extra mit dem Auto aus dem fernen Polen nach Köln) und auch eine nette - da ist's wieder! - Stimme. Aber alle Inbrunst und Wucht täuschten nicht darüber hinaus, dass es bei (dem alten) DSDS höchstens knapp für den Auslandsrecall gereicht hätte.
Kevin Quantum kollidiert mit Stahlkugel
Zudem machten die Kandidaten auch taktische Fehler. Loopstation-Talent Noah Warwel, den Lola Weippert als "deutschen Ed Sheeran" feierte, verzichtete auf seine fast magischen Fähigkeiten auf der Soundmaschine und bot einfach einen netten selbstgeschriebenen Song dar, den er auch selbst sang. Und er wäre - rein stimmlich - wohl schon im zweiten DSDS-Recall im Bauernhof rausgeflogen.
Die achtjährige Wunderathletin Liliya Turkeieva hatte im Casting mit einer atemberaubenden Solo-Performance an der Polestange fasziniert. Jetzt brachte sie ihre Eltern, ebenfalls Artisten, mit auf die Bühne. Aber die Verstärkung würde zum Handicap: "Ihr seid eine tolle Familie, aber als Nummer eins war Liliya viel besser", stellte Michalsky klar.
Bei Kevin Quantum, ebenfalls Supertalent-Globetrotter, kam auch noch Pech dazu. Sein Plan, einen Parcours mit schwingenden brennenden Stahlkugeln mit verbundenen Augen unbeschadet zu durchschreiten, scheiterte schon an der zweiten Kugel, die ihn an Kopf und Schulter touchierte. Zum Glück nichts passiert - aber als Loser kommt man nicht ins Finale.
"Pain Act": Thomas Gottschalk disst Dieter Bohlen
Die Jury? Im zweiten Halbfinale sollte es Thomas Gottschalk als Gast richten. Er, der 2012 in Staffel sechs mit Michelle Hunziker neben "Mr. Supertalent" Dieter Bohlen eine letztlich freudlose Zeit absaß, schoss gleich nach zwei Minuten gegen den Dieter. "Wir sind Podolski, Michalsky und Gottschalkski - drei Polen für Bohlen." Muhaha. Der zweite Verbaltreffer saß ein bisschen besser. Als Lola Weippert vor der Performance von Muy Moi fragte, wer wüsste, was ein "Pain Act" sei, muss Gottschalk (er hat's ja mit den Ohren) wohl "Pain in the Ass" verstanden haben. Denn er gegenfragte: "Dieter Bohlen?"
Gottschalk gab den elder Statesman und sah auch großzügig darüber hinweg, dass ihn die zunehmend nervende Lola Weippert als "unsere zweite Blondine" bezeichnete. Weippert reagierte auf die bei den ersten Nummern eher spärliche Begeisterung im Publikum, indem sie in den Dauer-Ekstase-Modus schaltete und prinzipiell jeden Auftritt zur gigantischen Supermegahyperleistung hochjazzte.
Live-Tränen: Chris Tall gedenkt Mirco Nontschew
Ihr Pendant Chris Tall war ein bisschen neben der Spur. Erst meinte man einen übergroßen Respekt vor Moderator-Legende Thomas Gottschalk zu verorten. Kurz vor Ende der Sendung aber richtete Tall ein "paar Worte in eigener Sache" ans Publikum. Er gedachte mit tränenerstickter Stimme dem verstorbenen Komiker Mirco Nontschew, der für Tall "Freund und Vater" gewesen sei.
Für das Highlight sorgte die letzte Kandidatin, die 71-jährige Uschi Bauer. Die (eigentlich: Renate Remmelt) war früher Volksmusik- und Jodel-Star. Jetzt ist sie immerhin die schnellste Jodlerin der Welt. Sie verjodelte "Von den blauen Bergen kommen wir", geriet mächtig außer Puste und dann mächtig in Rage. Denn Lukas Podolski schloss kalt und präzise ab wie beim Elfmeter: "Du hast vielleicht das Talent zum Jodeln, aber für mich war die Show nix."
Da wäre es fast zur Rudelbildung und/oder Blutgrätsche gekommen. Uschi ("Das hat mir noch keiner gesagt!") war echt sauer und Michalsky ernsthaft besorgt: "Ich dachte, die verprügelt den." Tat sie nicht, Poldi überlebte knapp.
Irgendwie: Die drei Finalisten stehen fest
Ach ja: Ins Finale zogen die grandiose und bewegende Inclusion Dance Crew, der herzerwärmend antiquierte Handschattenspieler Drew Colby und der leidenschaftliche Tänzer Karabo Morake ein. Es weiß zwar keiner wie genau, aber es war verdient.