"Maybrit Illner"

"Was soll sich der Bürger merken?" - Als es ums Schicksal der Industrie geht, flüchtet Scholz ins Vage

24.10.2024 von SWYRL/Doris Neubauer

Der Schweigekanzler muss reden: In der 1000. Ausgabe des Politik-Talks "maybrit illner" konfrontierte die Moderatorin Olaf Scholz mit unangenehmen Fragen zur innen- und außenpolitischen Situation Deutschlands. Bei vielen Antworten des SPD-Politikers kam dabei der "ultimative Wahlkämpfer" durch.

25 Jahre auf Sendung und kein bisschen leise: So präsentierte sich Maybrit Illner in der 1000. Ausgabe des nach ihr benannten Polit-Talks am Donnerstagabend. Von solchen Ausdauer- und Beliebtheitswerten kann ihr Gegenüber - Bundeskanzler Olaf Scholz - derzeit nur träumen kann. "Deutschland in der Krise - was kann Olaf Scholz noch erreichen?", lautete der Titel der Sendung, in welcher der SPD-Politiker Rede und Antwort stehen durfte.

Oder vielmehr musste, denn Maybrit Illner legte gleich angriffslustig los und traktierte den Kanzler mit Umfrageergebnissen: 85 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sind laut einer Forsa-Studie der Ansicht, die Bundesregierung hätte keine durchdachten Konzepte zur Bewältigung der aktuellen Krisen auf Lager. Illner stichelte: Sind die Menschen im Land etwa undankbar oder gar unfähig, seine Leistung zu erkennen?

Fragen, auf die Olaf Scholz milde lächelnd mit einem "Nein" antwortete. Genauso wie darauf, ob er sich angesichts der Dauerstreitereien in der Ampel-Regierung bereits als "wahlkämpfender Bundeskanzler" verstünde. "Aus meiner Sicht ist es schon manchmal sehr schwer, all die vielen Streitigkeiten durchzustehen und alles dafür zu tun, dass gute Ergebnisse dabei herauskommen", wollte er keinen Hehl daraus machen, dass das Regieren in der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP schwierig ist.

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Olaf Scholz: "Da sollte ich keiner einfach in die Büsche schlagen"

Dennoch gelte, wer das Mandat der Bürgerinnen und Bürger habe, müsse seine Aufgabe erfüllen. "Da sollte sich keiner einfach in die Büsche schlagen. Mein Stil ist das jedenfalls nicht", betonte er. Im Übrigen sei es so, dass "bei den Wahlergebnissen, die wir jetzt immer haben", in Regierungen Parteien mit unterschiedlichen Ansichten zusammenkämen. Das sei auch in anderen Ländern so, verwies der Kanzler im Laufe der Sendung immer wieder darauf, dass Deutschland mit seinen Problemen kein Einzelfall sei: "Ich befürchte, dass es nicht einfacher wird in europäischen Demokratien."

Dass manche Entscheidungen in der Ampel-Regierung so lange dauerten, ärgert ihn sichtlich. Doch in einer Demokratie könne nicht einfach einer auf einen Knopf drücken und alles wäre anders. Seine Rolle sei eine andere: "Ich bin der Kanzler, ich bin dafür zuständig, dass es gemeinsame Ergebnisse gibt", meinte er und fügte im gleichen Atemzug hinzu: "Ich bin aber auch ein sozialdemokratischer Kanzler."

Olaf Scholz zum Rentenpaket: "Das ist Koalitionsvereinbarung, das steht im Koalitionsvertrag.

Und bei den sozialdemokratischen Themen wurde der sonst so distanziert wirkende Scholz fast schon emotional: Mindestlohn erhöhen, Schuldenbremse reformieren, höhere Steuern für Reiche einführen - wie die SPD "ausgerechnet in den elf Monaten", die der Ampel-Regierung noch bleiben, diese versprochenen Maßnahmen schaffen wollte? Dieser Frage von Maybrit Illner wich der Bundeskanzler zwar gekonnt aus, ging stattdessen aber auf die einzelnen Punkte wie das umstrittene Rentenpaket ein.

"Das Gesetzgebungsvorhaben hat die Bundesregierung in den Deutschen Bundestag eingebracht, das wird auch dieses Jahr beschlossen. Das ist klar vereinbart", betonte Scholz, dass sich die SPD hier gegen den Widerstand der FDP durchsetzen werde. Denn: "Das ist Koalitionsvereinbarung, das steht im Koalitionsvertrag. Das Gesetz ist im Deutschen Bundestag eingebracht, und das ist die Voraussetzung für unser Miteinander gewesen. Das weiß jeder."

Industriegipfel: "Vertrauliche Meinungsbildung statt Theater"

Von den Menschen und der hart arbeitenden Mitte lenkte Moderatorin Illner den Fokus auf ein anderes kritisches Thema: "Noch vor sechs Monaten hatten Sie gesagt: Die Klage ist der Gruß des Kaufmanns, das ist ein Spott", meinte sie provokant, "jetzt nehmen Sie die Klagen ernst".

Als wenige Stunden vor Ausstrahlung der Sendung bekannt wurde, dass der deutsche Staat bis 2028 mit fast 60 Milliarden Euro Steuern weniger als gedacht kalkulieren muss und Investitionsforderungen aus der Wirtschaft laut wurden, hatte Scholz für 29. Oktober einen "Industriegipfel" mit Unternehmensvertretenden, Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften einberufen. "Was tun Sie da, was wird da geschehen?", erkundigte sich Illner.

Die Stimmung in der Wirtschaft sei schlecht. Es sei richtig, jetzt zu schauen, was noch getan werden könne, "damit wir gemeinsam nach vorne marschieren", hielt sich der Kanzler wage wie eh und je. Es sollte um den Gipfel kein "Theater stattfinden". Ziel wäre "eine vertrauliche Meinungsbildung, wo möglichst sich alle unterhaken", betonte Scholz auch deshalb, nur einen relativ kleinen Teilnehmerkreis einzuladen. Es mache keinen Sinn, "alle auf einmal einzuladen, jeder redet eine halbe Minute, das ist ja kein Gespräch". Die Regierung werde sich um alle Wirtschaftsbereiche kümmern.

Konkrete Maßnahmen wollte er bewusst keine nennen, denn "was soll sich der Bürger merken?", warf er die gleiche Frage auf den Tisch wie Maybrit Illner. Die sollen offensichtlich erst beim Gipfel "ernsthaft diskutiert werden". Er hoffe, dass man sich dort auf gemeinsame Vorschläge einige, denn gebraucht würden Maßnahmen, von denen "alle gleichzeitig sagen, das sind die richtigen".

"Ein Land, das im Krieg ist, kann gar nicht Nato-Mitglied werden."

Deutlich klarere Positionen nahm der Kanzler hingegen bei außenpolitischen Fragen rund um die Ukraine ein. Der Lieferung deutscher Taurus-Marschflugkörper erteilte er beispielsweise bei Maybrit Illner erneut eine Absage: "Meine Meinung ist klar. Ich halte das für falsch", wollte er hier keine Zweifel aufkommen lassen. Er werde keine Waffen liefern, die zu einer potenziellen Eskalation des Krieges beitragen könnten. "Das ist etwas, worauf sich alle in Deutschland verlassen können. Ich werde nicht unbesonnen handeln", wollte sich hier der Kanzler keinesfalls bedrängen lassen und legte dabei - wie zur Versicherung - seine Hand aufs Herz.

Warten könnte seiner Ansicht nach auch eine andere Entscheidung: Bezüglich einer Aufnahme der Ukraine in die Nato gäbe es im Moment keinen Handlungsbedarf: "Wir haben einen Beschluss gefasst in Washington und in Vilnius und haben die Perspektive beschrieben. Aber ich glaube, dass es über diesen Beschluss hinaus aktuell keinen neuen Entscheidungsbedarf gibt", stellte er klar, denn: "Ein Land, das im Krieg ist, kann gar nicht Nato-Mitglied werden. Das weiß jeder, darüber gibt es keinen Dissens. Und die Einladung ist bei der Nato normalerweise ziemlich schnell auch mit der Mitgliedschaft verbunden."

Zum Schluss kommt noch mal der "ultimative Wahlkämpfer" durch

Während dieser Prozess noch warten könne, müsse man sich dringend um die "Frage von Sicherheitsgarantien in einer Situation nach dem Krieg unterhalten". Russland habe die Verständigung darüber aufgekündigt, dass Grenzen nicht mit Gewalt verschoben werden dürfen. Das verlange besonnenes Handeln, das einerseits die Unterstützung der Ukraine gewährleiste, andererseits aber dafür sorge, dass dies kein Krieg wird zwischen Russland und der Nato. "Das ist etwas, wo ich ganz klar bin und auch meine Haltung nicht ändern werde", bezeichnete Scholz die Lage als "sehr ernst".

Der Atommacht Russland Ultimaten zu stellen, wie Friedrich Merz von der Union es getan hätte, würden jedenfalls garantiert zur Eskalation beitragen, kam zum Schluss bei Scholz doch noch einmal der "ultimative Wahlkämpfer" durch, wie Maybrit Illner feststellte. Dass der Kanzler die nächste Wahl gewinnen wollte, daraus machte der SPD-Politiker keinen Hehl: "Ich traue mir und meiner Partei zu, dass wir ein solches Mandat bekommen", gab er sich siegessicher. Vielleicht ist er wirklich davon überzeugt, oder er vermittelte gekonnt den Anschein.

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