02.12.2023 von SWYRL/Eric Leimann
Anne Will beendet den wichtigsten politischen Fernseh-Talk Deutschlands aus freien Stücken. Am 3. Dezember, 21.45 Uhr, läuft die letzte Ausgabe "Anne Will". Warum war die "eiserne Lady" des Ersten so erfolgreich - und warum wird sie vielen Zuschauern nach 16 Jahren fehlen?
Dass ausgerechnet vor dem letzten nach ihr benannten Talk ein Kölner "Tatort" läuft - ein Drehbuchautor hätte es sich nicht besser ausdenken können: Anne Will, 16 Jahre lang Moderatorin und Macherin der wohl wichtigsten politischen Talksendung Deutschlands, ist nicht nur in Köln geboren und in der Nähe aufgewachsen, sie ist auch überzeugte Kölnerin. In Interviews betonte sie stets, zwar in Berlin zu leben, aber der Domstadt die (Heimat-)Treue zu halten. Da passen so langlebige und gleichermaßen leutselige Kommissare wie Ballauf und Schenk gut ins Bild, die sich im vorweihnachtlichen "Tatort: Des anderen Last" um ausgebeutete Paketboten kümmern. Auch die von Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär verkörperten Krimi-Ermittler gelten als soziales TV-Gewissen einer kälter werdenden Welt.
Wer nicht weiß, dass Anne Will, die in 553 Talk-Ausgaben mehr als 1.300 Gesprächsgäste begrüßte, Kölnerin ist, hätte es vielleicht nicht vermutet. So kühl und präzise die Journalistin im TV daherkam, hätte man sie eher als klassische Preußin norddeutscher oder brandenburger Herkunft eingeschätzt. Weniger als rheinländische Frohnatur mit übrigens großen Faible für den 1. FC Köln. Doch es gibt zwei Anne Wills, die aber offenbar gut miteinander leben können. In Interviews und abseits ihrer Sendung ist sie eine abenteuerlustige, stets dem Neuen zugewandte Frau und Journalistin. Doch wenn die "Anne Will"-Titelmusik den Talk nach dem Sonntagskrimi einläutet, mutiert sie zur kühlen Polit-Journalistin: stets nachbohrend und immer der Sache verpflichtet.
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Mit der Fragemaschine zurück aufs Gleis der Sachlichkeit
Anne Will konnte man als Gast - meistens waren es Politiker - niemals mit einem menschlichen Ablenkungsmanöver kommen. Oder mit einem populistischen Scherz oder dem Aufruf zur Meinungsrandale punkten. Stets wurde man von der brünetten Fragemaschine zurück aufs Gleis der Sachlichkeit geführt. Keine Chance des Entrinnens! Allein deshalb wird Anne Will in Zeiten einer immer emotionaler und mithin unsachlicher werdender Debattenkultur fehlen. Ihre Nachfolgerin Caren Miosga, die mit "Miosga" den Staffelstab des ARD-Sonntagstalks im Januar übernehmen wird, ist ebenso journalistisch präzise, wirkt aber menschlicher und damit vielleicht auch klein wenig empfänglicher für emotionale Störfeuer. So ähnlich wie die dritte Frau im ARD-Talkkosmos, Sandra Maischberger.
Vergleichbar ist die professionelle Kühle der Anne Will nur noch mit Maybrit Illner, die seit 24 Jahren im ZDF durch die nach ihr benannte Politdebatte führt. Gemeinsam haben Will und Illner, dass man ihnen am ehesten die taffe Polit-Journalistin und "eiserne TV-Lady" anglo-amerikanischer Prägung abnimmt. Jenem Typus TV-Frau, deren perfekte Vorbereitung und kühle Professionalität schon auch Gäste erschaudern lässt. Sollten sie vertragen können, die Polit-Profis und mit allen PR-Wassern gewaschenen Redner.
Wie Anne Will wohl ihre Tage ab Montag, 4. Dezember, verbringt? In Interviews, unter anderem einem großen und sehr persönlichen in der "Süddeutschen Zeitung" vom September 2023, hat sie beteuert, sie wisse es noch nicht. Sie haben noch nie so lange - 16 Jahre - dasselbe gemacht, auch weil sie immer wieder den Zauber des Neuanfangs schätze, ja liebe.
Sonntägliche "Jauch-Pause" von 2011 bis 2014
Abseits von "Anne Will" ist Anne Will eine sehr menschliche, offen zugängliche und lustige Person. Das sagen alle, die sie von Berufs wegen und auch privat kennen. Will stammt aus den berühmten "kleinen Verhältnissen". 1966 kam sie als Schwester eines großen Bruders und Kind eines Schreinermeisters und einer ehemaligen Postangestellten in Hürth bei Köln zur Welt. Sie machte Abitur und studierte in Köln und Berlin Geschichte, Politikwissenschaft und Anglistik. Beim rbb-Vorgänger SFB absolvierte die Rheinländerin ihre journalistische Ausbildung - und wurde bald als Kameratalent entdeckt. Schnell schaffte sie Besonderes: Ab November 1999 präsentierte Anne Will als erste Frau die "Sportschau". Von nun an war sie prominent. 2000 folgte die Moderation der Olympischen Spiele aus Sydney.
2001 wurde es dann politisch. Als Nachfolgerin Gabi Bauers trat die damals 35-Jährige ihren Job bei den "Tagesthemen" an. Sie moderierte abwechselnd zunächst mit Ulrich Wickert, später mit Tom Buhrow. Am 16. September 2007 lief dann ihre erste "Anne Will"-Ausgabe mit dem Titel "Rendite statt Respekt - wenn Arbeit ihren Wert verliert" - womit man wieder beim Kölner "Tatort" über die Kurierfahrer wäre. Fast macht es den Eindruck: Manche Trends bleiben allzu lange aktuell.
Eine weitere Qualitätsfeder durfte sich Anne Will 2014 an den Hut stecken. Damals holte man sie zurück auf den Sonntags-Sendeplatz. Die Älteren erinnern sich: Die Moderatorin musste wegen der ARD-Verpflichtung des damals fast schon staatstragend populären Günther Jauchs 2011 ihren Sonntagabend-Sendeplatz räumen und unter der Woche senden. Doch als Jauch ging, holte das Erste die Journalistin 2014 als Sonntags-Anchorwoman zurück. Durchaus eine Genugtuung für die Moderatorin.
Gegen den "immer rauer werdenden Empörungston"
Zum Abschied nach ihrem Stil und Überzeugungen von "Anne Will" befragt, jenes Formats, das in den letzten Jahren in der Spitze bis zu vier Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer erreichte, betont die 57-Jährige noch einmal die Sachlichkeit ihres Ansatzes. Gerade im Kontrast zur Aufreger-Kultur von Clickbaits und "sozialen" Medien, die in den letzten Jahren die Debattenkultur verändert haben. Da sieht Anne Will im Interview mit der "Süddeutschen" eine "irrsinnige Beschleunigung von Nachrichtenverwertung und gleichzeitig einen immer rauer werdenden Empörungston".
Dem habe sie "einen respektvollen, wertschätzenden Ton entgegenzusetzen" versucht. Politik sei eine ernste Sache, sagt Anne Will. "Ich will keine Knalleffekte, sondern suche die kluge Nachfrage."
Wo sie diese klugen Fragen in Zukunft stellen wird, ist noch nicht klar. Erst mal will sie sich freischwimmen, ihre Wochenenden genießen und neue Kraft tanken. Dem Medium Fernsehen möchte sie aber entgegen anders lautender Berichte treu bleiben. Eine gute Nachricht - fürs Medium und das Publikum.