Jan Ullrich - Der Gejagte - Fr. 19.07. - ZDF: 00.15 Uhr

Deutschlands gefallener Star auf dem Jakobs-Radweg

13.07.2024 von SWYRL/Eric Leimann

Über vier Folgen arbeitete "Jan Ullrich - Der Gejagte" bei Amazon 2023 Leben und Karriere des Radsport-Idols auf. Mit dem Protagonisten selbst! Sebastian Dehnhardts ("Nowitzki. Der perfekte Wurf") starkes Sportler-Doku-Biopic feiert nun seine Free TV-Premiere beim ZDF.

Nach der zu Recht gefeierten ARD-Dokumentation "Being Jan Ullrich", die im Sommer 2022 - 25 Jahre nach dem Tour-de-France-Sieg des Radsportlers - erschien und sehr erfolgreich lief, war es für Filmemacher Sebastian Dehnhardt nicht leicht, für Amazons Konkurrenz-Produkt "Jan Ullrich - Der Gejagte" im Spätherbst 2023 noch etwas "draufzupacken". Doch die viermal 45 Minuten, die nun beim ZDF als Free TV-Premiere laufen (Folge drei und vier: Samstag, 20. Juli, 0.00 Uhr, oder ab 19. Juli komplett in der ZDF Mediathek) lohnen durchaus eine neuerliche Beschäftigung mit demselben Thema respektive Leben. Dehnhardt, Macher von furiosen und preisgekrönten Sportfilmen wie "Nowitzki. Der perfekte Wurf" und "Klitschko", hatte neben seinem Talent und einem gegenüber der ARD sicher deutlich höheren Budget für wunderschöne Radfahrbilder, noch einen Trumpf im Ärmel: Jan Ullrich erzählt hier erstmals und ausführlich seine eigene Geschichte. Inklusive eines Quasi-Dopinggeständnisses, auf das die Welt so lange gewartet hat.

In Teil zwei, der sich mit Doping- und Spitzensport-Fördermethoden der DDR auseinandersetzt, erfährt man, wie der 13-jährige Jan Ullrich 1986 als Radsporttalent aus einem Rostocker Plattenbau auf die Kinder- und Jugendsportschule des SC Dynamo nach Berlin wechselte. Zeitzeugen und Experten vergleichen die Methoden dort mit Doping und "Förderkultur" im Westen und kommen zu dem Schluss: Skrupel davor, alles was hilft, für den Erfolg einzusetzen, hatte man auf keiner der beiden Seiten des damals noch eisernen Vorhangs. Und Jan Ullrich, der für die Doku bildstark und menschlich anrührend mit Ende 40 noch mal einige der wichtigsten Rennetappen seines Sportlerlebens abfährt - fast wie auf einer Art Jakobsweg -, spricht sichtbar erlöst und offen wie nie über die Substanz-Kultur von damals und die eigene Einstellung dazu.

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Doping gehörte zur professionellen Vorbereitung dazu

"Ich bin damit in Berührung gekommen 1996 - und zwar vor der Tour de France", erzählt Ullrich im Film. "Ich war sehr jung und auch naiv, kam in ein bestehendes System rein. Das wurde mir so schmackhaft und auch so unentbehrlich gemacht, dass ich mich dann dafür entschieden habe. Meine Karriere wäre zu Ende gewesen, hätte ich es nicht gemacht." Damals fuhr der junge Profi-Radsportler bereits für das Team Telekom. Wie man sich denken kann, haben weder Team noch Sportler Schuld empfunden, weil Doping damals einfach systemimmanent war und zur professionellen Vorbereitung eines Rennsportlers dazugehörte.

Das Blutdoping-Mittel EPO war erst Anfang der 2000er-Jahre nachweisbar und barg für Sportler das Risiko gefährlicher Thrombosen. Dazu sagt Ullrich in der Doku: "Es wurde mir plausibel erklärt, es war ein sehr schwammiges Thema. Ein Thema, das mir keine Angst gemacht hat. Ich konnte nein sagen, aber das war für mich gar kein Thema damals. Das war so gut erklärt, und einleuchtend. Es war etwas Verbotenes, doch nicht Verbotenes."

Natürlich erzählt "Jan Ullrich - Der Gejagte" von Siegen und Abstürzen, die bei ihm so heftig ausfielen, wie bei kaum einem anderen deutschen Sportidol. Für die Doku-Serie holte Dehnhardt Ullrichs Brüder und Mutter, alte Weggefährten wie Trainer, Experten, Manager und Konkurrenten wie den charismatischen Erzähler Lance Armstrong ins Boot. Doch vor allem ist es Jan Ullrich selbst, der hier sehr offen und authentisch erzählt. Meist am Rande von noch einmal gefahrenen Legenden-Etappen wie dem zehnten Abschnitt der Tour 1997, als er nach Andorra und ins Gelbe Trikot fuhr.

Letzte Begegnung mit dem Vater

Eines von Ullrichs anrührendsten Lebensgeständnissen steht am Ende von Teil eins. Da berichtet er, Vater von vier Kindern aus zwei gescheiterten Beziehungen, wie er seinen eigenen Vater, an den er nur noch schemenhafte Erinnerungen hatte, als erwachsener Radsportler wiedergetroffen hat. Die Mutter hatte sich von ihm wegen seines Trinkens und häuslicher Gewalt nach der Geburt des dritten Kindes getrennt. "Janni, Janni", erkannte der Sohn die Stimme des Vaters bei einem Radrennen, für das er sich gerade warm fuhr.

Man unterhielt sich kurz, und Jan Ullrich bat den Vater, ihm seine Telefonnummer auf einen Zettel zu schreiben. "Ich melde mich später." Doch der Zettel mit der Nummer weichte durch im Radtrikot. "Ich glaub, es hat auch etwas geregnet. Die Nummer war weg." Das nächste, was Jan Ullrich über seinen Vater hörte, war, dass er verstorben war.

Weil Jan Ullrich Geschichten wie diese erzählt, kann man über den sensiblen, fehlbaren Jedermann mit dem großen Radsporttalent auch gerne eine zweite sehr gute Doku-Serie schauen.

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