25.01.2025 von SWYRL/Wilfried Geldner
Nach der katholischen Kirche brachte im Januar 2024 auch die evangelische Kirche eine Studie über den sexuellen Missbrauch innerhalb der Kirche heraus. Hier wie dort ist bei tausenden von Tätern und Opfern von einer "Spitze des Eisbergs" die Rede. Umso wichtiger ist es, dass die Opfer, die ein Leben lang unter ihren Erfahrungen leiden, darüber reden.
Trotz großer Bemühungen um Wahrheitsfindung herrscht nach der Veröffentlichung von Studien beider Kirchen zur sexualisierten Gewalt noch immer Unzufriedenheit. Zu groß ist die Dunkelziffer der Täter und Opfer. Glaubte man zunächst an einen systemischen Makel der katholischen Kirche, der auf deren strenge Hierarchien und insbesondere die Zölibatsverpflichtung zurückzuführen sei, so erkannte auch die evangelische Kirche verspätet, wieviele Missbrauchsfälle es innerhalb der Kirche gab. Die Fragen sind hier wie dort die gleichen: Wie hatte es dazu kommen können, wer hat weggesehen und vertuscht?
Eine der Hauptfragen kommt dabei allerdings immer wieder zu kurz; nämlich die, wie es den Opfern ergeht. Die "37°"-Reportge aus der ZDF-Redaktion Kirche und Leben beschäftigte sich jüngst bereits des öfteren mit dieser Thematik. Vergewaltigung, durch wen auch immer, sei "eine Wunde, die einfach nicht zuwächst", sagte eine der Betroffenen vor der Kamera beweiskräftig und eindrucksvoll. Nun wird unter dem Titel "37°: Leben nach dem Missbrauch" weiteren Opfern eine Stimme gegeben.
Die Opferschicksale gehen möglicherweise in den tausenden von Personalakten, die mehr oder weniger ausführlich ausgewertet werden, unter. Die Täter schweigen aus den verschiedensten Gründen ohnehin - auch bei den gegen sie geführten Prozessen. Dass Kinder und Jugendliche ausgerechnet in sozialen Diensten wie der evangelischen Diakonie, die sich der Nächstenliebe und der Fürsorge der Schwachen verpflichtet fühlt, zu Opfern wurden, ist besonders schlimm. Im "37°"-Film berichtet die jetzt 44-jährige Nancy Janz, die mittlerweile Sprecherin der Betroffenen ist, über einen Jugendpastor, der ihr in familiärer Bedrängnis helfen sollte: "Ich war allein, haltlos, ohne Anbindung und psychisch instabil, als er mir seine Hilfe anbot." Das Bewusstsein über die Wunde, "die nie verheilt" kam erst spät, auch die Wut.
Auch der 54-jährige Anselm Kohn und der 49-jährige Markus Klaaßen berichten in dem Beitrag von ihren Verletzungen durch sexualisierte Gewalt. Sie wurden zu Missbrauchsopfern, konnten aber über die ihnen zugefügten Verletzungen erst nach Jahren reden und fordern Gerechtigkeit. Im Falle Klaaßens kam es zu einem jahrelangen Prozess, der schließlich eingestellt wurde, nachdem der Täter jede Aussage verweigert hatte. Die Landeskirche bezahlte als Schmerzensgeld immerhin 35.000 Euro, offensichtlich wird die Problematik nach Jahrzehnten auch von den Kirchenverantwortlichen erkannt.