17.05.2024 von SWYRL/Maximilian Haase
Seit Jahren klärt er darüber auf, wie die Welt funktioniert und was sie bedroht: Auch in seiner neuen Sendung widmet sich Harald Lesch Klimawandel, Energiewende und Co. Warum Wissenschaft politischer wird und was sich ändern muss, erklärt der Professor im Interview.
Von der Entstehung des Universums über die Risiken der künstlichen Intelligenz bis zu den Folgen des Erderwärmung: Seit Jahren klärt Harald Lesch darüber auf, wie unsere Welt funktioniert, wie wir auf sie blicken - und wie wir sie gefährden. Leidenschaftlich, informativ und unterhaltsam thematisiert der Naturphilosoph in seinen TV-Formaten, wie sich Forschung, Technik, Wirtschaft und Politik gegenseitig bedingen und beeinflussen. Der grassierenden Wissenschaftsskepsis setzt der 63-Jährige dabei unermüdlich die Macht der Fakten entgegen - in den vergangenen zehn Jahren vornehmlich in seinem ZDF-Klassiker "Leschs Kosmos". Nun ist es Zeit für einen Neuanfang, auch wenn der Professor dem Publikum in der Neuauflage unter dem Titel "Terra X Harald Lesch" (erstmals am Dienstag, 21. Mai, 22.45 Uhr, ZDF) glücklicherweise erhalten bleibt. Was die modernisierte Sendung anders macht, weshalb Wissenschaft auch im Fernsehen politischer wird und was sich mit Blick auf die mannigfaltigen Krisen alles ändern müsste, erklärt Lesch im Interview.
teleschau: In den letzten Jahren folgte eine Krise auf die andere. Einige davon haben Sie in Ihren Sendungen beleuchtet und diskutiert. Doch gibt es auch Momente, in denen es Ihnen einfach reicht?
Harald Lesch: Wenn ich das Gefühl habe, es handelt sich nur um Parteiquatsch. Dann höre ich nicht mehr zu. Ich versuche, bei Blödsinn nicht mehr hinzuhören - und mich vor allem nicht aufzuregen. Eines habe ich in den letzten Jahren gelernt: In der Politik ist eine Menge Unverstand unterwegs. Ich bin sehr erschüttert darüber, wie stark manche Meinungen sind, bei denen die Ahnungslosigkeit mindestens genauso groß ist wie die Meinungsstärke. Da kann man nur noch abwinken und sagen: "Komm', lass mich in Ruhe!"
teleschau: Was tun Sie, um von derlei Aufregung zu entspannen?
Lesch: Da spiele ich doch lieber Schach oder Klavier. Oder höre Max Raabe und fahre mit dem Fahrrad. Aber es herrscht so viel Wahnsinn in der Politik, da kann man sich gar nicht entspannen.
teleschau: Würden Sie mit den besagten Politikerinnen und Politikern denn tauschen wollen?
Lesch: Tauschen würde ich nicht gern. Das ist ein sehr anstrengender Job, bei dem man seine Freiheit über die eigene Zeit verliert. Wenn andere Menschen den eigenen Kalender regieren, hat man was falsch gemacht. Aber offenbar ist genau das Bedingung dafür, dass man überhaupt Politik betreiben kann.
teleschau: Gibt es dann vielleicht etwas, das Sie den Regierenden dringend ans Herz legen würden?
Lesch: Ich würde der Regierung gern sagen, dass Politik mit Sprache zu tun hat. Und zwar sehr viel. Die richtige Sprache ist Voraussetzung dafür, dass die Menschen in Deutschland Vertrauen in ihre Regierenden haben. Die aktuelle Regierung findet keine Sprache, um die Menschen anzusprechen. Sie macht damit denselben Fehler wie viele Regierungen vor ihr. Der derzeitige Bundeskanzler spricht so wenig über seine Politik, dass man denken könnte, er glaube, genug schweigen würde schon ausreichen. Das Schlimmste für mich ist: In Deutschland gibt es eine Menge Leute, die sich viel denken, aber nichts sagen.
teleschau: Wie meinen Sie das?
Lesch: Es besteht ein großer Unterschied zwischen einem ausgesprochenen und einem gedachten Wort. Philosophisch ist das eine Katastrophe. Als Hochschullehrer kann ich nur sagen: Benutzt eure Sprache, redet miteinander, tauscht Argumente aus, lasst die anderen ausreden. Und versucht wieder, richtig Politik zu machen. Im besten Sinne des Wortes: Wenn Menschen miteinander im Gespräch sind. Das ist Polis - und das brauchen wir dringend und viel mehr. Anstatt, dass nur einer was sagt, und alle anderen reagieren wie ein Hühnerhaufen darauf.
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"Die Jüngeren werden fragen: Warum habt Ihr denn nichts unternommen?"
teleschau: Was hat Sie am Handeln der Ampel-Regierung bislang am meisten enttäuscht?
Lesch: Die Entscheidung der Regierung, ihre Klimaschutzziele derart zu verseifen, ist angesichts der Bedrohung durch den Klimawandel eigentlich eine Frechheit. Man kann nur hoffen, dass es nicht so schlimm endet. Ich bin sehr gespannt darauf, wie zukünftige Regierungen auf Vorwürfe der nächsten Generationen reagieren, dass man doch alles wusste. Die Jüngeren werden fragen: "Warum habt Ihr denn nichts unternommen?"
teleschau: Was unterscheidet diesen von früheren Generationenkonflikten?
Lesch: Bei den früheren Auseinandersetzungen zwischen den Generationen konnten die Alten oft etwas verschleiern. Weil es nicht genügend Informationen gab. Wir können das nicht mehr. Das Internet legt das gesamte Versagen von zwei Generationen offen. Es zeigt, wie sie mit der Ökologie dieses Planeten umgegangen sind. Dadurch müssen die kommenden Generationen nicht viel suchen. Sie sehen sofort, welche erbärmliche Performance wir in den 20er-Jahren des 21. Jahrhunderts abgeliefert haben.
teleschau: Was glauben Sie, wie zukünftige Historikerinnen und Historiker auf unsere Zeit blicken werden?
Lesch: Ich weiß es nicht. Bruno Latour hat gesagt: Wir müssen uns jetzt zusammentun, um die therapeutischen Instrumente zu schaffen, um die nächsten 20 Jahre gemeinsam durchzuhalten. Wir sind jetzt zu träge und zu langsam. Und die nächsten Jahre werden uns dazu zwingen, etwas zu tun.
teleschau: Was zum Beispiel?
Lesch: Ich kann ganz unten anfangen, beim Tempolimit. Wir werden unsere Mobilität und unseren Energiekonsum verändern. Das wird alles automatisch kommen. So, wie jemand durch eine Flut gezwungen wird, sein Haus anders oder woanders zu bauen. Wir brauchen gar nicht weit zu schauen: Die Meeresspiegel steigen, und ein Land wie die Niederlande ist massiv gefährdet. Aber man spricht nicht darüber.
teleschau: In Ihrem neuen "Terra X"-Format, das nach zehn Jahren "Leschs Kosmos" ablöst, werden Sie derlei sicher vermehrt ansprechen ...
Lesch: Ja. Wir werden deutlich näher an den Aktualitäten dran sein. Das Konzept wird offener sein. Wir setzen weniger auf einzelne Magazinbeiträge und erzählen mehr entlang eines roten Fadens. "Leschs Kosmos" war eher eine Aneinanderreihung einzelner Themen, die der Moderator zusammengebunden hat. Zukünftig wird das kontinuierlicher mit mir als Moderator verbunden bleiben. Ich bin mehr unterwegs und werde mehr mit Kolleginnen und Kollegen sprechen - mit Leuten also, die aktuell in einem Thema tief drin sind. Darüber hinaus wollen wir uns als Wissenschaftsclub zusammensetzen und ein Thema aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Allerdings immer aus wissenschaftlicher Sicht!
"In welchem Zustand muss die Welt denn sein, damit man aktiv wird?"
teleschau: Wie kann die neue Sendung auch dem Skeptizismus gegenüber der Wissenschaft begegnen?
Lesch: Wir werden die Geschichten anders erzählen und darin deutlicher werden, dass der wissenschaftliche Prozess auch Irrtümern unterliegt. Die Corona-Pandemie zeigte der Gesellschaft live, wie Wissenschaft Wissen schafft. Das ist kein dogmatisches "Das ist jetzt so". Der Irrtum als Methode ist in den Naturwissenschaften sehr wichtig. Wir zeigen, wie Wissenschaft funktioniert und welche Risiken und Chancen Technologien bergen. Wir können aber der Gesellschaft die Entscheidung nicht abnehmen, dafür sind wir gar nicht zuständig. Wir können nur so gut es geht berichten und hoffen, dass immer mehr Menschen Vernunft annehmen.
teleschau: Wird so ein Wissenschaftsformat aber angesichts der aktuellen Themen nicht zwangsläufig politischer?
Lesch: Ja klar. Wir können ja nicht so tun, als wären die Herausforderungen klein, wenn sie in Wirklichkeit groß sind. Oft wird mir ja die Frage gestellt: "Herr Lesch, sind Sie nicht schon Aktivist?" Da kann ich nur zurückfragen: "Warum Sie denn nicht?" In welchem Zustand muss die Welt denn sein, damit man aktiv wird? Es gibt diese Vorwürfe, dass wissenschaftliche Berichterstattung oft viel zu politisch ist. Das ist doch völliger Quatsch.
teleschau: Inwiefern?
Lesch: Gerade, wenn es richtig schwierig wird und wenn es alle angehen soll, dann muss es doch von allen verstanden werden. Und dann darf es auch politisch werden. Das Thema Klimawandel betrifft ja etwa unmittelbare politische Entscheidungen.
teleschau: Was hat sich den in den letzten 20 Jahren in der Wissenschaftskommunikation verändert?
Lesch: Wir sind mehr geworden. Es gibt eine Reihe von jungen Kolleginnen und Kollegen mit verschiedenen Kanälen, Variationen und Anspruchsebenen. Das finde ich toll, dass es auch innerhalb der Wissenschaftscommunity ein deutlich gestiegenes Interesse gibt, über Wissenschaft zu sprechen.
"Wir werden das Klimathema niemandem ersparen"
teleschau: Werden Sie eigentlich Ihren "Kosmos" vermissen?
Lesch: Als ich 1998 anfing mit "Alpha Centauri", war ich ja noch ganz in der Astronomie drin. Das ist ein wunderschönes Fach - es bietet die Gelegenheit, aus anderer Perspektive auf diesen Planeten und auf uns zu schauen. Aber ich hatte nach einigen Jahren genug davon. Jetzt bin ich davon schon lange weg. Auch wenn ich an der Universität unterrichte, geht es sehr viel um die Energiewende, den Klimawandel und Umwelt, Ethik, Technik.
teleschau: Immerhin haben Sie kürzlich noch ein Buch über potenzielle Außerirdische geschrieben ...
Lesch: Ja, das ist so eine hinterhältige Variante, um sich die Frage zu stellen: Was für Wesen sind das eigentlich, die sich auf den Weg zu uns machen? Und ist es wirklich so vernünftig, sich denen bekannt zu machen? Zuletzt wurde das ja in der unglaublichen Geschichte "3 Body Problem", die erst als Buchtrilogie und nun als Serie gestartet ist, ziemlich originell durchdacht. An einer guten astronomischen Geschichte bin ich nach wie vor genauso interessiert wie an den Geschichten zu Energiewende und Klimawandel. Es geht in der Wissenschaft auch um diese guten Geschichten. Ein Beispiel: Eigentlich feiern wir in diesem Jahr ja 200 Jahre Klimaforschung. 1824 hat der Franzose Fourier erstmals darüber spekuliert, wie die Erde aus der Eiszeit herauskam. Er vermutete eine unsichtbare Strahlung, die von der Atmosphäre aufgenommen wird und sie erwärmt.
teleschau: Braucht es solche Geschichten, damit die Leute beim Thema Klimawandel nicht mit den Augen rollen?
Lesch: Dass hierzulande das Wort "Klimawandel" lieber nicht auf Buchcovern oder in Sendungstiteln vorkommen sollte, wundert einen. Denn die Extremwetterereignisse sind auch in Europa ziemlich offensichtlich. Man muss immer wieder darüber reden - das ist auch die Aufgabe und Verantwortung derjenigen, die sich damit auskennen. Wir werden das Klimathema niemandem ersparen. Egal was die Leute denken, glauben oder hoffen. Aufklärung über den Klimawandel ist Sisyphosarbeit. Wir werden immer und immer wieder darauf hinweisen, was da draußen der Fall ist. Das Einzige, was bei diesem Thema zählt, sind die Daten. Das letzte Jahr war das wärmste Jahr aller Zeiten, die Meere werden immer wärmer. Aber ja: Vielleicht müsste man noch einmal eine andere Erzählung aufwerfen.
teleschau: Wie könnte das aussehen?
Lesch: Man könnte Klimawandel und Gesundheit mehr thematisieren. Vor allem die unmittelbare Bedrohung durch den Klimawandel für die persönliche Gesundheit. Wir alle wissen, dass es uns nicht gut geht, wenn es zu warm ist. Wir alle wissen, welchen Stress diese schnellen Wetterwechsel bedeuten. Genau die Menschen in der Gesundheitsbranche machen ja die Augen nicht zu, wenn jemand verletzt auf dem Boden oder schwer krank im Bett liegt. Sie bemühen sich um Linderung und eine Lösung. Das scheint uns völlig abhandengekommen zu sein. Wir gucken weg.
teleschau: Was also tun?
Lesch: Wir machen einfach weiter. Wollen wir mit den jahrhundertealten Verbrennungsprozessen unser Wasser heiß machen? Oder wollen wir mit Photovoltaik und Windrädern elektrische Energie umwandeln? Wir bauen die erneuerbaren Energien weiter aus, bis auch die größten Skeptiker sagen: Das ist es. Wir sollten auch darüber berichten, wie Menschen von der Energiewende profitieren können - in Genossenschaften beispielsweise. Der Bund hätte längst eine Aktie auflegen müssen. Wenn wir sowieso alles bezahlen müssen, können wir doch auch unser eigenes Energiesystem besitzen. Man muss das einfach machen, ohne sich das von irgendwelchen Wolkenkuckucksheimen zerreden zu lassen. Es darf kein Vor-Zurück mehr geben. Die Industrie verlangt vor allem Planungssicherheit. Jede Politik sollte dafür sorgen, dass möglichst viel in die erneuerbaren Energien investiert wird. Und den Rest, den regeln wir schon.
"Dass diese Leute keine E-Autos fahren, ist einfach nur erbärmlich"
teleschau: In den ersten Folgen Ihrer neuen Sendung geht es um die Zukunft unserer Mobilität. Warum ist dieses Thema so wichtig?
Lesch: Bei der Mobilität treffen wir des Deutschen empfindlichsten Nerv. Wir bewegen uns alle mehr denn je. Wir sind wieder so mobil wie vor Corona. Das wird weiter zunehmen, aber kann so nicht bleiben. Das gilt zu Wasser, zu Land und in der Luft. Wir müssen uns neue Konzepte überlegen, die global umsetzbar sind. Denn wenn sich immer mehr Menschen am Mobilitätskonzept des Westens orientieren, wird der Planet viel zu heiß werden.
teleschau: Wie realistisch ist E-Mobilität als Konzept, mit dem Fortbewegung neu gedacht wird?
Lesch: Oft wird etwa gesagt, die Bevölkerung auf dem Land kann keine E-Mobilität umsetzen. Natürlich kann sie - sie hat schließlich die meisten Garagen. Überhaupt: In diesem Land wird so viel Geld für Autos ausgegeben. Man muss sich nur die riesigen Schlitten in München und anderswo anschauen. Dass diese Leute keine E-Autos fahren, ist einfach nur erbärmlich.
teleschau: Wie viel Ideologie steckt hinter diesen Einstellungen?
Lesch: Das weiß ich nicht. Offensichtlich konnten wir noch nicht einmal unsere Ingenieure davon überzeugen, dass der E-Motor der bessere Motor ist. Die Autobranche ist ganz verrückt danach, noch immer diese wahnsinnigen Verbrenner zu bauen. Einmal meinte ein älterer Herr zu mir: "Herr Lesch, Sie können mir erzählen, was Sie wollen. Ich bin ein Hirsch, bei mir muss es röhren". Es scheinen sehr viele dieser Hirsche unterwegs zu sein. Da ist man als Wissenschaftskommunikator etwas ratlos. Man kann eigentlich nur sagen: Mach doch mal fünf Minuten Pause von deinen Meinungen und schau dir an, wie es wirklich ist.
teleschau: Sie sind in den letzten Jahren auch Großvater geworden. Sorgen Sie sich um diese Enkelgeneration?
Lesch: Aktuell mache ich mir vor allem Sorgen um das Jetzt. Wenn wir das alles so weitergehen lassen, wird es anstrengend. Ich würde mir wünschen, dass wir wieder eine Gesellschaft werden, in der man Vertrauen in die Institutionen hat. Sonst stehen wir vor großen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen. Darüber mache ich mir ziemlich viele Gedanken. Wir sind aber noch immer in der Lage, diese Herausforderung zu bewältigen. Wir können das nur zusammen schaffen.