Lavinia Wilson im Interview

"Ich bereue, dass meine Generation es verkackt hat"

13.12.2021 von SWYRL/Maximilian Haase

Was tun bei Online-Hass, Verleumdung und Co? Als Anwältin hilft Lavinia Wilson in der neuen ARD-Serie "Legal Affairs" Promis und Normalos aus der Patsche. Was sie dabei über die Welt der Juristinnen lernte und wie sie ihre prominente Stimme einsetzt, verrät die 41-Jährige im Interview.

Es gab Zeiten, da schien Lavinia Wilson vor allem für die Darstellung bisweilen kaputter Frauencharaktere zuständig. Vor einigen Jahren, irgendwann nach "Schoßgebete" und "Hey Bunny", wandelte sich dieses Bild. Mittlerweile steht die gebürtige Münchnerin für eine Figurenvielfalt, wie man sie hierzulande selten findet: Ob Kommissarin, spionierende Zahnärztin ("Deutschland 89"), Helikoptermutter ("Andere Eltern") oder am unerfüllten Kinderwunsch Leidende ("Was wir wollten") - die 41-Jährige überzeugt in so ziemlich jeder Rolle. Für Ihre im eigenen Zuhause gedrehte Pandemie-Serie "Drinnen", in der die dreifache Mutter gemeinsam mit ihrem Partner Barnaby Metschurat zu sehen war, gab es in diesem Jahr den Grimme-Preis. Aktuell scheinen es der Wahlberlinerin die Juristinnen angetan zu haben: Wie zuletzt in der Netflix-Serie "Billion Dollar Code" gibt Lavinia Wilson auch in der neuen ARD-Serie "Legal Affairs" (ab Sonntag, 19. Dezember, 21.45 Uhr, im Ersten) eine Anwältin im großen Stil.

teleschau: Frau Wilson, zwischendurch schien es, als würde in Sachen Pandemie so etwas wie Normalität einkehren. Im Herbst feierten Sie in Zürich etwa die Premiere Ihrer Serie "Billion Dollar Code".

Lavinia Wilson: Ja, wobei mir der Rote Teppich nicht wirklich gefehlt hat. Es ist einfach wahnsinnig aufwendig, sich für einen kurzen Moment herzurichten. Manchmal kann das Spaß machen - aber es sollten ausgewählte Ereignisse sein.

teleschau: Wie in der Netflix-Produktion spielen Sie auch in Ihrer neuen ARD-Serie "Legal Affairs" wieder eine Anwältin - haben Sie die Juristinnen als Rollen liebgewonnen?

Wilson: Oder die mich (lacht)! Es sind zwar beides Anwältinnen, aber sie sind sehr verschieden. Die Ausrichtung ist ganz anders. Klar: Beide haben den gleichen Beruf und diesen vielleicht aus ähnlichen Motiven ergriffen. Aber ihr Handeln, ihre Vergangenheit und ihr Fokus könnte unterschiedlicher nicht sein.

teleschau: Konnten Sie dennoch davon profitieren, beide Figuren innerhalb kurzer Zeit zu verkörpern?

Wilson: Ich fand es spannend, beide direkt nacheinander zu spielen. Da fällt mir eine lustige Anekdote ein: Durch coronabedingte Verzögerungen hatte sich der Dreh zum "Billion Dollar Code" nach hinten verschoben - wodurch sich der Dreh zu "Legal Affairs" ohne große Pause anschloss. Gleich zu Beginn gab es in Berlin ein Motivproblem, und wir mussten die Szenen im Gerichtssaal zuerst drehen. "Packst du das?", wurde ich gefragt. Und ich konnte nur entgegnen: "Hallo? Ich mache seit zwei Monaten nichts anderes! Ich stehe die ganze Zeit im Gerichtssaal!" Das brachte mir also schon etwas.

teleschau: Zuerst war die Rolle der Anwältin vor Gericht aber sicher eine Herausforderung?

Wilson: Ja, ich stehe schließlich in einer riesigen Arena und schwinge große Reden - da musste ich zunächst reinfinden. Beim zweiten Gerichtssaal war das dann schon sehr vertraut. Allerdings muss ich gerade bei "Legal Affairs" sagen: Es kostet mehr Vorbereitung.

teleschau: Inwiefern?

Wilson: Jahrelang konnte ich behaupten, dass das Textlernen kein Problem ist. Sobald man verstanden hat, worum es geht, kommt der Text automatisch. Das fiel mir nie schwer. Bei "Legal Affairs" hingegen stand zum ersten Mal im Vordergrund, um wie viel Text es sich handelt - und wie komplex der ist. Alles muss genauso gesagt werden, wie es im Skript steht. Sagt meine Figur vor Gericht etwas anderes, macht sie sich angreifbar. Ich konnte also nicht schludern. Erst wenn diese Arbeit getan ist, kann man an die eigentliche Figurenarbeit gehen. Aber das ist ja auch das Schöne an meinem Job: Ich kann mal kurz so tun, als wäre ich eine Anwältin oder Ärztin (lacht). Man muss sich, angesichts der Einsparungen allerorten, einzig den Raum und die Zeit für Beratung nehmen. Für "Deutschland 86" habe ich sogar meinen Zahnarzt bequatscht.

teleschau: Ihre Figur tarnte sich in der Serie mit einem Job als Zahnärztin ...

Wilson: Genau. Und dafür begleitete ich damals zwei Tage lang meinen Zahnarzt und dessen Assistentin - und schaute in irgendwelche Münder. Aber auch da überlegte ich mir schon, wie ich von der Rolle abweichen kann: Ich hatte so abgefahrene 80er-Jahre-Fingernägel und wollte unbedingt, dass man die im Mund von Martin Rauch sieht. Das geht natürlich nur ohne die Handschuhe, da wird die Realität dann gebogen. Man macht schon abgefahrene Sachen.

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"Wir hatten vor, einen Nerv der Zeit zu treffen"

teleschau: Gab es Leute, die Ihnen bei "Legal Affairs" beratend zur Seite standen?

Wilson: Ich musste erst begreifen, warum eine Sache in genau diesem bestimmten Fall genau so formuliert werden muss. Dafür brauchte es viele lange Gespräche mit Christian Schertz und anderen Anwältinnen und Anwälten.

teleschau: Prof. Dr. Schertz ist wohl der bekannteste Medienanwalt des Landes. War er auch beim Dreh vor Ort?

Wilson: Wir hatten aufgrund der Maßnahmen insgesamt sehr wenig Besuch am Set. Aber Christian Schertz hat die Serie mitproduziert, mitentwickelt und meine Rolle inspiriert. Was das Fachliche anging, war es eine große Hilfe, ihn begleiten zu können - in der Kanzlei als auch vor Gericht. Trotzdem zeigte er sich erstaunlich offen, was unsere eigenen Ideen anging. Er fand es gut, wenn wir Neues einbrachten. Denn was die Figur in ihrem Inneren antreibt, muss natürlich von mir kommen. Das kann ich nirgendwo abschauen, sonst könnten wir ja eine Doku machen.

teleschau: Sie erwähnten, dass Sie Christian Schertz in seiner Kanzlei begleiten durften. Wie war das?

Wilson: Ja, das war eine Art Praktikum. Ich bin einen Vormittag lang mitgelaufen, habe mir Telefonate von ihm angehört und wie er mit seinen Mitarbeitern umgeht. Ich habe mir die riesige Kanzlei am Ku'damm angeschaut. Auch einen Gerichtstermin haben wir uns angesehen.

teleschau: Ließ er auch ein paar Dinge blicken, die man öffentlich eher nicht erzählen sollte?

Wilson: Vielleicht ...

teleschau: Die - reale wie fiktive - Tätigkeit eines Medienanwalts umgibt schon eine geheimnisvolle Aura. Man muss ja laufend aufpassen, was man sagt.

Wilson: Das ist sein Job. Interessant finde ich, dass er einerseits als Person im Fokus steht, die Geschichten unterbindet - als Korrektiv der Presse. Aber das ist nur die eine Seite. Die andere ist der Schutz der Presse, das hat man etwa beim Fall Böhmermann gesehen. Aber klar: Er kennt sicher viele Abgründe. Doch wäre es natürlich absurd, wenn er die herumerzählen würde. Als Schauspielerin fand ich spannend, was es mit einem macht, diese ganzen Geheimnisse mit sich herumzutragen. Da bringt es jedoch nichts, ihn direkt zu fragen - das muss ich für mich erspüren.

teleschau: Die Serie strahlt einen Anwaltsserienglamour aus, den man sonst nur aus US-Produktionen kennt. Gab es Vorbilder für Sie?

Wilson: Ich muss gestehen, dass ich im Vorfeld keinerlei Anwaltsserien schaute. Um mich davon nicht beeindrucken zu lassen. Ich kannte vorher auch wenig. Alle redeten immer von "The Good Wife" und "Suits" - habe ich alles nicht gesehen. Was den Glamour angeht: Meine Figur Leo soll sehr wohl glamourös sein. Aber die Kanzlei von Herrn Schertz ist definitiv schicker als die, die wir uns in der Serie leisten konnten (lacht).

teleschau: Heißt das, Medienrechtsanwälte haben auch hierzulande gut zu tun?

Wilson: Gerade durch das Internet sind Medienrechtsanwält*innen extrem gut beschäftigt. Weil die Reputation und die Existenz eines Menschen innerhalb von Stunden zerstört werden kann. Auch wenn es sich von außen absurd anhört: Für viele Menschen geht es dabei um ganz viel. Und dann: Was zuletzt etwa im Fall der "Bild" passierte, zeigt ja, dass die Realität nochmal viel krasser ist, als man es sich hätte ausdenken können.

teleschau: Bisweilen nennt man es ja einen Glücksfall, wenn parallel zu einem Format reale Ereignisse den Inhalt bestätigen. Das ist in diesem Fall wohl eher unangebracht ...

Wilson: Na ja, ich finde es in der Realität nie schön, wenn Frauen schlecht behandelt werden. Daher freue ich mich darüber auch nicht. Aber klar: Wir hatten vor, einen Nerv der Zeit zu treffen. Einer sehr aufgeregten Gesellschaft wird der Spiegel vorgehalten.

teleschau: Kamen Sie als in der Öffentlichkeit stehende Person schon vorher mit medienrechtlichen Problemen in Berührung?

Wilson: Das Absurde an meinem Beruf ist ja, dass ich nicht in der Öffentlichkeit stehe, um mich selbst zu vermarkten. Sondern weil ich Schauspielerin bin. Aber das Interesse ist manchmal ein anderes: Viele Medien interessieren sich mehr für mein Privatleben als für den schauspielerischen Aspekt. Manches Medieninteresse überschreitet Grenzen - das ist mir durchaus schon begegnet. Wobei: Ich kann den Blick durchs Schlüsselloch schon nachvollziehen.

teleschau: Was glauben Sie, woher dieses Interesse kommt?

Wilson: Das ist ur-menschlich. Es geht auch darum, sich selbst weniger fehlbar zu finden - sobald man sieht, dass es bei perfekt wirkenden Menschen im Privaten auch blöd läuft. Trotzdem: Abgesehen davon, dass ich das nicht möchte, steht es auch dem Beruf im Weg. Gebe ich aus meinem Privatleben viel preis, ergibt das ein Bild einer Person, die womöglich gar nicht mit meinen Rollen übereinstimmt.

teleschau: Was wäre an dieser Dissonanz problematisch?

Wilson: Früher war ich immer ein wenig beleidigt, wenn Leute mich mit meinen Figuren verwechselt haben. Heute sehe ich das als größtes Kompliment - weil das heißt, dass ich richtig gut war. Mittlerweile macht es mir viel Spaß, wenn man die verschiedenen Rollen, die ich spiele, gar nicht unter einen Hut bekommt. Das ist genau mein Job. Und je mehr ich über mein Privates erzähle, desto schwieriger lässt sich diese Illusion aufrechterhalten.

"Der Umgang miteinander ist viel zugewandter"

teleschau: Nun haben Sie für Ihre Rolle in der Miniserie "Drinnen" während des Lockdowns bei sich zu Hause gedreht - und dafür den Grimme-Preis erhalten. Wie war es, gerade für diesen kleinen Einblick ins Private ausgezeichnet zu werden?

Wilson: Während dieser Zeit befand sich ja die ganze Welt im Ausnahmezustand. Für uns war es auch eine absolute Ausnahmesituation. Auch, die Wohnung zur Verfügung zu stellen - wobei wir genau entschieden haben, was wir zeigen und was nicht. Auch wenn wir immer wieder gefragt werden, ob wir das Bücherregal kuratiert haben (lacht).

teleschau: Haben Sie?

Wilson: Nein, da haben wir wirklich nicht drauf geachtet. Wir haben stehen lassen, was sowieso im Regal stand. Ich bereue das auch nicht - es sind alles ganz gute Bücher (lacht).

teleschau: Sehen Sie es eigentlich als Glück an, dass Sie so viele unterschiedliche Figuren spielen, ohne auf bestimmte Typen festgelegt zu sein?

Wilson: Glück ist ein großes Wort. Die Frage ist, ob ein Beruf überhaupt glücklich machen kann. Dafür sorgen dann doch vielleicht andere Dinge. Es ist allerdings ein Geschenk, dass ich in den letzten Jahren immer komplexere Frauenfiguren spielen darf. Und die Chance habe, mich immer mehr auszuprobieren. Klar ist das toll.

teleschau: Stellen Sie dahingehend eine positive Entwicklung fest?

Wilson: Ja. An meinem Beispiel kann ich das ganz klar sagen. Die Zuschauenden lechzen danach, und die Filmemacher*innen wollen das. Es gibt aber auch einen Fehler, der oft gemacht wird: Man darf "starke" Frauenfiguren nicht als Emanzipation missverstehen. Dass die dauernd das Richtige tun und für das Gute kämpfen ist ja wieder ein Klischee. Was früher die Hausfrau war, wird dann zur Heldenfigur - das kann es ja auch nicht sein.

teleschau: Beobachten Sie auch in Sachen Arbeitsumfeld Fortschritte?

Wilson: Auch die Art und Weise, wie Menschen an Filmsets miteinander umgehen, hat sich total zum Positiven gewandelt. Es gab ein paar Startschwierigkeiten - da kamen dann Sprüche wie: "Darf man das jetzt noch sagen?" Aber die meisten haben dazugelernt, man gibt sich Mühe. Der Umgang miteinander ist viel zugewandter. Bei der Bezahlung gibt es noch was zu tun - aber nicht nur in unserem Berufszweig.

teleschau: Politisch äußern Sie sich auf Instagram überaus eindeutig - insbesondere, was den Kampf gegen den Klimawandel angeht.

Wilson: Ich unterstütze die Kinderrechtsorganisation Save the Children und war schon als Teenager in den 90er-Jahren sehr für den Umweltschutz engagiert. In den letzten Jahren entdeckte ich das aus offensichtlichen Gründen wieder. Ich bereue, dass meine Generation es verkackt hat. Und nun habe ich eine öffentliche Stimme, die ich mir nicht ausgesucht habe, aber die nun mal mit meinem Beruf einhergeht. Und wenn ich die jenseits der Werbung für meine Filme für etwas Sinnvolles nutzen kann, mache ich das. Das war auch nicht immer so, sondern ein Prozess. Denn das stößt nicht unbedingt immer auf Gegenliebe.

teleschau: Wie gehen Sie mit negativen Kommentaren - und der Angst davor - um?

Wilson: Im Vorfeld zu Wahl habe ich mich für mehr Klimaschutz ausgesprochen und erstmals öffentlich für eine Partei - die Grünen - stark gemacht. Und hinter diesen Dingen stehe ich so 150-prozentig, dass ich die Kommentare eher mit Belustigung gelesen habe.

teleschau: Sie lesen diese Kommentare?

Wilson: Ja, die lese ich. Die gingen ja eher in die Richtung: "Kleines Mädchen, geh nach Hause." Manche waren aber auch unter aller Sau. Es ist erstaunlich, welche Häme über Menschen ausgeschüttet wird. Für einen Moment bin ich dann irritiert - aber wenn es unter einem Post steht, hinter dem ich so sehr stehe, tut das viel weniger weh. Zumal sich die Kommentare ja meist selbst diskreditieren. Anders ist es, wenn vielleicht jemand meinen Film nicht gut findet. Aber: Wenn es mich trifft, bin ich gewappnet. Schlimmer finde ich, wenn Leute am Pranger stehen, die keine Person öffentlichen Interesses sein wollen.

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