02.12.2024 von SWYRL/Eric Leimann
Die sechsteilige Mysteryserie "Passenger" (ab 6. Dezember in der ARD Mediathek) erzählt aus der nordenglischen Kleinstadt Cheddar Vale. Polizistin Riya (Wunmi Mosaku) wird mit allerlei merkwürdigen Vorgängen konfrontiert. Fans von "Lost" und englischer Alltagskultur haben doppelten Grund zur Freude.
Relativ früh in der britischen Mysteryserie "Passenger" (ab Freitag, 6. Dezember, ARD Mediathek) hat ein Bewohner der entlegenen Kleinstadt Cheddar Vale eine Vision: Man könnte doch nach London gehen, ein neues Leben anfangen. Ein anderer antwortet: "Warum soll ich stundenlang Zug fahren, nur um Tausende von Leuten zu sehen, die ich nicht kenne?" Tatsächlich ist das Leben in Cheddar Vale wie an vielen anderen entlegenen Orten von bescheidener Größe. Einerseits schätzt man es, dass hier jeder jeden kennt. Andererseits träumt man von etwas Größerem. Nicht normal sind in Cheddar Vale allerdings jene Dinge, welche die vor einigen Jahren aus der Großstadt zugezogene Polizistin Riya Ajunwa (Wunmi Mosaku) beunruhigen: Schwarze Flüssigkeiten tropfen durch die Gegend. Junge Frauen verschwinden und tauchen (manchmal) wieder auf. Zerfetzte Hirschkadaver liegen auf der Straße herum.
Dann wird der brutale Gewalttäter Eddie (Barry Sloane) nach fünf Jahren überraschend aus dem Gefängnis entlassen. Seine Frau Joanne (Natalie Gavin) sowie die fast erwachsenen Töchter Katie (Rowan Robinson) und Lilly (Matilda Freeman) können erst mal wenig anfangen mit dem neuen Mann im Haus. Joanne arbeitet wie die meisten Bewohner Cheddar Vales in der örtlichen Brotfabrik. Dann gibt es da noch die Fracking-Baustelle unter Jim Bracknell (David Threlfall), der offenbar schwer unter Schläger Eddie zu leiden hatte.
Viele Menschen der Kleinstadt, vor allem die jüngeren, würden sich wohl lieber heute als morgen ins nicht allzu weit entfernte Manchester absetzen, um dem engen Umfald ihrer Kleinstadt zu entkommen. Katie zum Beispiel, die ihren Kumpel Mehmet (Shervin Alenabi) zum Weggehen überreden will. Am besten gelaunt scheinen in Cheddar Vale noch die Jungpolizisten Ali (Ella Bruccoleri) und Nish (Arian Nik) zu sein. Zwar ist im Ort außer einer Diebstahlserie von Mülltonnen wenig Kriminalistisches los. Ihre gewachsenen Beziehungen und das rituelle Pint im Pub spenden vielen hier aber genug Trost, um sich zu Hause zu fühlen. Und doch kann man nicht abstreiten: Die verstörenden Vorgänge im Ort nehmen zu.
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Wo liegt das echte Cheddar Vale?
Auch wenn das Format, das vom englischen Privatsender ITV produziert wurde, das Genre Mystery/Crime nicht neu erfindet, Drehbuchautor und Showrunner Andrew Buchan (bekannt als Schauspieler aus "The Crown" oder "The Fixer") sind mit dem Sechsteiler durchaus eine Reihe netter Porträts englischer Landbewohner gelungen. Buchan, der selbst aus der Gegend stammt, ließ das fiktive Cheddar Vale vor allem in Cornholme drehen, einem Ort auf der Grenze zwischen Lancashire und West Yorkshire. Ein karges Gebiet zwischen Manchester und Leeds. Dort, wo der nordenglische Industriegürtel in Richtung der pittoresk entlegenen Yorkshire Dales ausfranst.
Manchmal fühlt man sich in "Passenger" auch ein bisschen an "Mord mit Aussicht" erinnert. Vor allem in jenen Szenen, die auf dem Polizeirevier spielen. Mit dem Unterschied, dass die nicht vom Land kommende Polizeichefin schwarz ist und von ihrem Mann, wegen dem sie einst in die Gegend gezogen war, wegen einer anderen sitzengelassen wurde. Nun lebt sie da mit der dementen Mutter ihres Ex und arbeitet mit zwei ein bisschen beschränkt wirkenden Jung-Polizisten zusammen, die allerdings ein grundgutes Herz haben. Man stelle sich nun vor, das Böse würde in diese drollig triste Welt einbrechen. Allerdings nicht so richtig böse, denn die düsteren Elemente in "Passenger" sind stets als Genre-Spielereien zu erkennen - was es für erfahrene Mystery-Schauer dann doch nicht ganz so erschreckend macht.
Wir sind hier nicht bei Akte X. Doch, sind wir!
Die Serie "Passenger" hat ihre Stärken, zu denen die wunderbar präsente Wunmi Mosaku ("Loki") und ein paar weitere gute Charaktere und Darsteller gehören, die man auch in einem starken britischen Sozialdrama oder einer Sozialkomödie hätte verdichten können. Die in der Synchronisation etwas gestelzt klingen Dialoge wissen das aber hier und da zu verhindern. "Wir sind hier nicht bei Akte X", behauptet in einer Szene abwiegelnd ein Dorfbewohner gegenüber den skeptischer werdenden Ermitteln. Man könnte ihm von der anderen Seite des Mystery-Bildschirms aus zurufen: "Doch, das sind wir!". Nur dass "die unheimlichen Fälle des FBI" wie die erste Blockbuster-Mystery-Serie der TV-Neuzeit einst im deutschen Untertitel hieß, diesmal in der nordenglischen Provinz und unter deren skurrilen Bewohnern spielen.