14.09.2023 von SWYRL/Eric Leimann
Mit dem Münchener "Polizeiruf 110: Little Boxes" übernimmt Johanna Wokalek das Kommissarinnen-Amt von Verena Altenberger. Die 48-Jährige ist eine Schauspielerin, die sich ihre Rollen sehr genau aussucht. Was hat sie beim innovativen Krimiformat des Bayerischen Rundfunks vor - und es mit ihr?
Sie spielte am Wiener Burgtheater, aber auch mit Til Schweiger ("Barfuss"). Die hochbegabte Schauspielerin Johanna Wokalek war Gudrun Ensslin in "Der Baader Meinhof Komplex", "Die Päpstin" in Sönke Wortmanns gleichnamigem Kinofilm und gewann zuletzt einen Grimme-Preis 2018 für die Literaturverfilmung "Landgericht - Geschichte einer Familie". Doch die Freiburger Arzttochter und Ehefrau des Dirigenten Thomas Hengelbrock, mit dem sie einen zwölfjährigen Sohn hat, ist auch bekannt dafür, sich ihre Rollen sehr genau auszusuchen. Im Zweifel dreht Wokalek eher weniger als mehr. Da kommt es schon etwas überraschend, dass die 48-Jährige beim Münchener "Polizeiruf" als Kommissarin Cris Blohm angeheuert hat - als Nachfolgerin Verena Altenbergers. Schon Wokaleks erster Fall, "Polizeiruf 110: Little Boxes" (Sonntag, 17. September, 20.15 Uhr, Das Erste), wird mit Sicherheit die Gemüter spalten. Denn eines ist dieser mit viel grimmigem Humor gestrickte Fall sicher nicht: einfach zu konsumieren.
teleschau: Sie sind bekannt dafür, sich Ihre Rollen sehr genau auszusuchen. Und auch dafür, wenig fürs Fernsehen zu arbeiten. Jetzt machen Sie sogar eine Krimi-Reihe. Wie kam es dazu?
Johanna Wokalek: Als die Anfrage vom Bayerischen Rundfunk kam, war ich erst mal verwundert. An so etwas hatte ich überhaupt nicht gedacht. Doch ein Projekt steht und fällt ja immer mit den Menschen, die es entwickeln. Also bin ich nach München gefahren und habe mich mit der Redaktion unterhalten. Es war ein ganz tolles Gespräch, und ich habe gespürt, welch hohen Stellenwert der "Polizeiruf" dort hat. Da ist ganz viel Sorgfalt und Ambition - und es gab einen großen Vertrauensvorschuss und viel Neugier mir gegenüber. Das hat mir natürlich gut gefallen (lacht). Wir waren schnell auf einer Wellenlänge.
teleschau: War Ihnen bewusst, dass der Bayerische "Polizeiruf" im Feld der deutschen Fernsehkrimis zur künstlerischen Avantgarde zählt - mit Ermittlern wie Edgar Selge, Matthias Brandt und zuletzt Verena Altenberger?
Johanna Wokalek: Ich habe tatsächlich immer wieder mal Münchener "Polizeirufe" geschaut. Nicht regelmäßig, aber doch immer wieder. Natürlich habe ich gesehen, dass man dort Außergewöhnliches will. Es gab auch Erinnerungen an Filme, die ich gesehen habe, zum Beispiel einen "Polizeiruf" mit Matthias Brandt von Jan Bonny. Einige Fälle waren tatsächlich kinowürdig - thematisch, visuell und auch vom Storytelling.
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"Sie sollte durch Offenheit und Neugierde überzeugen"
teleschau: Sie wollen diese künstlerische Erfolgsgeschichte nun fortschreiben?
Johanna Wokalek: Klar, das würden wir gerne (lacht). Für uns besteht die Herausforderung darin, diese hohe Qualität zu halten und trotzdem mit der Ermittlerin Cris Blohm etwas ganz Eigenes zu erschaffen. Es geht nun darum, wie unkonventionell wir erzählen, wie mutig wir sein dürfen. Ich hoffe, dass uns besondere Filme gelingen. Aber ich bin zuversichtlich, denn ich spüre den Ehrgeiz bis in alle Gewerke hinein. Die Filme sind ja stets Einzelstücke, oft von wirklich kleinen Produktionsfirmen. Aber jeder, der an einem BR-"Polizeiruf" arbeitet, weiß, dass man da ein besonderes Format in den Händen hält. Man will nicht schlechter sein als das, was schon war.
teleschau: Ihre Vorgängerinnen und Vorgänger haben alle sehr besondere Ermittler-Figuren erschaffen. Was ist das Besondere oder Neue an Kommissarin Cris Blohm?
Johanna Wokalek: Ich glaube, das wird sich zeigen. Wir haben ein paar Ideen, aber vieles wird sich noch entwickeln. Fürs Erste durfte ich mitentscheiden, wie sie heißt, wie sie aussieht und wie sie auftritt. Da ging es um Kostüm und Maske. Nun schauen wir, welche Ideen wir in den nächsten Folgen sichtbar machen können. Mir war wichtig, dass sie nicht mit einem großen Rucksack an Problemen den Dienst antritt. Sie sollte durch Offenheit und Neugierde überzeugen. Dennoch ist sie in der Handhabung ihrer Aufgabe unkonventionell, aber das ist nicht so leicht zu greifen. Das gefällt mir!
teleschau: Ihr erster Fall ist fast eine - wenn auch grimmige - Komödie. Wird Humor ein wichtiger Bestandteil Ihrer Ermittlerin sein?
Johanna Wokalek: Humor finde ich wunderbar. Er ist eine großartige Brücke und ein Türöffner bei der Begegnung von Menschen. Ermittlerin zu sein, ist ein sozialer Beruf, bei dem man vielen Menschen begegnet. Ich möchte gerne eine humorvolle Seite für Cris bewahren.
"Das ist für mich auch Aufgabe von Kultur"
teleschau: Aber was weiß man denn am Anfang konkret über Chris Blohm?
Johanna Wokalek: Dass sie zuvor im Ausland war und dass sie Single ist. Sie hat ein Bedürfnis nach Freiheit, das ist klar zu spüren. Alles weitere wird sich ergeben.
teleschau: Ihr fester Partner ist Stephan Zinner, der den bereits aus den Verena Altenberger-Folgen bekannten Kommissar Dennis Eden spielt. Sie arbeiten in "Little Boxes" aber auch intensiv mit dem schwarzen Kommissar Otto Ikwuakwu zusammen, der von Bless Amada gespielt wird. Arbeiten Sie in Zukunft als Trio?
Johanna Wokalek: Nein, mein fester Partner ist Stephan Zinner. Die Figur Otto Ikwuakwu, gespielt von Bless Amada, hat uns allerdings extrem gut gefallen. Wir überlegen schon, ob er nicht irgendwann mal wieder bei uns vorbeischauen könnte.
teleschau: "Little Boxes" ist kein einfacher Einstieg in eine neue Krimireihe. Zum einen, weil die akademische Sprache des Krimis sehr anspruchsvoll ist, man muss sehr genau zuhören. Zum anderen setzt man sich mit den verhandelten Thema schnell in die Nesseln ...
Johanna Wokalek: Beide Aspekte empfinde ich eher als Lob. Es ist die Aufgabe von Fernsehen, auch von der Fiction-Sparte eines Senders wie dem BR, dass er auch mal Themen setzt, die vielleicht unangenehmer oder heikler sind. Themen, die Zuschauerinnen und Zuschauer fordern. Die auch Konzentration verlangen. Das wird jetzt nicht immer in der gleichen Form stattfinden. Die anspruchsvolle, besondere Sprache, um die es geht, wird im Drehbuch von Stefan Weigl vorgegeben. Es ist mir klar, darauf wird sich nicht jeder einlassen. Trotzdem wollen wir das Publikum weiter herausfordern. Das ist für mich auch Aufgabe von Kultur.
"Der Film bläst Luft durch verhärtete Fronten"
teleschau: Aber es war eine bewusste Entscheidung, mit diesem etwas sperrigen Stoff einzusteigen?
Johanna Wokalek: Dieses Drehbuch stand - und damit wollten wir einsteigen.
teleschau: Was macht für Sie die Qualität von "Little Boxes" aus? Beim Thema Rassismus, Feminismus und Wokeness setzt man sich schnell in die Nesseln ...
Johanna Wokalek: Das Buch überspitzt natürlich die Realität. Wobei ich gar nicht weiß, ob ich es satirisch nennen möchte. Trotzdem finde ich es toll, diesen Themen, die oft so ernst und manchmal fast dogmatisch verhandelt werden, mit Ironie zu begegnen. Stefan Weigl hat sich sehr viele Gedanken zu diesen Themen gemacht, die im Buch drinstecken: Postcolonial Studies, Gendern, Wokness, Rassismus. Er macht es sich mit all diesen Themen sicher nicht einfach. Doch der Film bläst Luft durch verhärtete Fronten. Lachen kann entwaffnen. Lachen ist ein Türöffner, damit überhaupt Begegnung stattfinden kann - davon bin ich überzeugt.
teleschau: Aber fürchten Sie nicht, dass die Dogmatiker diesem "Polizeiruf" starken Gegenwind entgegenpusten werden?
Johanna Wokalek: Vielleicht ja, vielleicht nein. Genau das ist doch spannend, wie man darüber in den Dialog kommt. Vielleicht schafft es ja der Humor, die im Film dargestellten verhärteten Fronten aufzuweichen. Zum Streit gehören immer zwei. Manchmal habe ich den Eindruck, dass das Gegenüber mit anderer Ansicht von vornherein wie nicht erwünscht ist. Dass man praktisch in der eigenen Blase verbleibt. Aber dann bringt die ganze Diskussion nichts. Der Ausschluss von Diskussionsteilnehmern ist per se ein fatales Signal für uns als Gesellschaft. Deshalb empfinde ich den Film - mit genau dieser Herangehensweise - als sehr interessanten Beitrag.
Ein Song über "Denkboxen", die "ganz schön eng sind"
teleschau: Läuft mit den akademischen Kreisen, die der Film aufs Korn nimmt, etwas schief?
Johanna Wokalek: Das behaupten wir mit dem Film ja nicht. Diese "Kreise", wir Sie es nennen, sind ja erst mal fiktionale Behauptung. Dennoch gibt es natürlich Zirkel, deren Regeln und Sprache so verhärtet sind, dass sozusagen die Form erstarrt und keine Auseinandersetzung mit anderen mehr möglich ist. In diesem Fall ist das ganze System nur noch selbstreferenziell und erreicht auch nichts mehr für die Gesellschaft.
teleschau: Diese geschlossenen Systeme sind auch das, was der erst am Ende verständliche Titel des Krimis "Little Boxes" anspricht. Im Abspann hört man das gleichnamige Lied von Malvina Reynolds. Worum geht es darin?
Johanna Wokalek: Der Song stammt aus den frühen 60-ern von der Politaktivistin Malvina Reynolds. Er beschreibt eine Gegend in Amerika, in welcher die Leute in gleich aussehenden Häuserreihen leben, den "Little Boxes". Die Menschen in diesen Häusern leben praktisch alle das gleiche Leben. Sie haben die gleichen Träume, die gleichen Bedürfnisse. Stefan Weigl hat den Song ausgesucht, und vielleicht ist das auch seine Aussage: dass unsere Denkboxen ganz schön eng sind. Es geht um Diversität. Der Wunsch ist, dass wir uns in all unserer Verschiedenheit miteinander verbinden oder einschließen. Stattdessen findet über die Schwierigkeit, eine Sprache für- und miteinander zu finden, das Gegenteil statt.
teleschau: Wie oft werden Sie einen neuen "Polizeiruf" drehen?
Johanna Wokalek: Ein bis zwei Folgen pro Jahr soll es geben. Das zweite Buch existiert bereits und der Film ist auch schon abgedreht.
"Mein Mann arbeitet als Musiker viel in Paris, deshalb sind wir hingezogen"
teleschau: Sie leben jetzt in Paris. Was machen Sie dort?
Johanna Wokalek: Ich lebe dort, mit Mann und Kind. Mein Mann arbeitet als Musiker viel in Paris, deshalb sind wir hingezogen. Wir sind jetzt sechs Jahre dort. Wir waren neugierig auf das Leben, und es ist tatsächlich eine sehr interessante, anregende Stadt. Paris ist natürlich eine Riesenmetropole, die auch anstrengend ist. Aber ich war ja davor jahrelang in Wien, auch in Hamburg. Jetzt sind wir dort. Zum Arbeiten fahre ich meistens nach Deutschland. Dorthin, wo die Projekte sind. Da hat sich gegenüber früher wenig geändert.
teleschau: Aber könnten Sie auch auf Französisch drehen?
Johanna Wokalek: Ja, natürlich. Nach sechs Jahren, die ich schon dort lebe ...