08.05.2025 von SWYRL
Die Messerkriminalität in Deutschland nimmt zu. Eine ARD-Doku geht dem "gefährlichen Messer-Hype" nun auf den Grund - und fördert Erschreckendes zutage.
2024 erfasste die Polizei in Deutschland im Schnitt 80 Messerdelikte pro Tag. Laut Statistik nimmt die Messergewalt zu; auch in den Medien sind alarmistische Schlagzeilen über den Anstieg von "Messerstechern" keine Seltenheit mehr. "Viele Leute sind bereit, zuzustechen", glaubt auch Boxtrainer Ronny Lopez. Mit ihm spricht "Y-Kollektiv"-Reporterin Laura Kipfelsberger in der neuen ARD-Doku "Gefährlicher Messer-Hype". Sie will wissen: "Wer sind die Menschen, die Messer dabei haben? Und was sind ihre Gründe?"
Als Coach wolle Lopez jungen Menschen in seiner Heimatstadt Halle (Saale) eine Perspektive bieten, heißt es im Film. Der Kampftrainer glaubt, dass Messer längst allgegenwärtig sind. "Es müssten härtere Strafen kommen, das ist das Problem in Deutschland. Hier stechen Leute andere Leute ab - und kriegen eine lächerliche Strafe", sagt er. "Das Gewaltpotenzial ist viel höher geworden heute", pflichtet ihm ein Kollege bei. Von den sogenannten "Waffenverbotszonen" hält Lopez wenig, diese seien "peinlich", "lächerlich hoch zehn" und "bringen gar nichts".
Von der Wirksamkeit der Verbotszonen will sich die Reporterin selbst ein Bild machen. Zu diesem Zweck begleitet sie drei Bundespolizisten bei ihrer Schicht am Bremer Bahnhof. "Ich erwarte gar nichts von der Schicht", erklärt die Journalistin vorab, "weil ich mir nicht vorstellen kann, dass in einer Waffenverbotszone und an einem so belebten Ort wie dem Bahnhof überhaupt Leute mit Messern rumlaufen."
Lange soll es nicht dauern, bis sie eines Besseren belehrt wird: Bereits bei der zweiten Kontrolle finden die Beamten ein Messer in der Bauchtasche eines jungen Mannes. "Ich hatte das noch in der Tasche, ich wollte das nicht mitnehmen. Ich habe vergessen, es rauszuholen", behauptet er. "Ich hatte damit nix vor, auf keinen Fall." Ein weiterer Mann gibt an, sein Messer nur für seinen Job in der Gastronomie mitzuführen; ein Dritter erklärt, er wolle mit seinem Springmesser "Gürkchen schneiden".
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"Ob acht Zentimeter oder drei Zentimeter - ein Messer ist ein Messer"
Abgenommen werden die Waffen den kontrollierten Personen nur vorübergehend, nach zwei Wochen dürfen sie ihre Messer wieder bei der Polizei abholen. Dass sie zudem ein Bußgeld zahlen müssen, scheint die wenigsten von ihnen zu beeindrucken. Die Reporterin staunt: "Ich hatte schon bei ein paar Jungs den Eindruck, dass sie es cool finden, ein Messer dabeizuhaben."
In einem Skatepark spricht sie mit Menschen, die ein Messer mit sich führen. "Ein Klappmesser habe ich für den Eigenschutz dabei", erklärt ein Jugendlicher. Ein anderer sagt: "Es ist inzwischen normal, als Sicherheit." Dann ergreift eine Frau das Wort: "Heute kann man die Jugend gar nicht mehr ohne irgendwelchen Schutz laufen lassen. Das ist einfach so. Ich würde meine Kinder gar nicht mehr alleine rauslassen", erklärt sie - und ergänzt, dass dies auch für ihre neunjährige Tochter gelte.
Ibo, der Besitzer eines Kiosks in der Innenstadt von Halle, kann dem nicht zustimmen. Er hält das Mitführen von Messern für gefährlich. "Das ist kein Messer für Obst", sagt er und präsentiert der Reporterin die Waffe, die er laut eigener Aussage einem 17-Jährigen abgenommen habe. "Die hatten hier draußen einen Streit, dann habe ich das in seiner Hand gesehen und ihm weggenommen." Bei dem Messer handelt es sich um ein sogenanntes "Neck Knife", das man um den Hals trägt und bis zu einer gewissen Maximallänge der Klinge mit sich führen darf. "Ich finde es nicht gut, das sowas legal verkauft wird", ärgert sich Ibo. "Ob acht Zentimeter oder drei Zentimeter - ein Messer ist ein Messer."
"Plötzlich stand er vor mir und hat zugestochen"
Wie groß die Gefahr ist, die von Messern ausgeht, musste die 19-jährige Liliana am eigenen Leib erfahren. Die junge Frau trifft sich in einem Park mit dem "Y-Kollektiv"-Team, mit dabei ist ihre Mutter Katja. Sie brauche immer "jemanden im Rücken", seit sie im Februar 2025 an einem niedersächsischen Bahnsteig Opfer einer Messer-Attacke wurde, erklärt Liliana. "Da saß dieser Mann, der aussah wie ein Obdachloser, eingewickelt in seinem Schlafsack. Plötzlich stand er vor mir und hat zugestochen, ohne etwas zu sagen", erinnert sich die Tierpflegerin.
Der ihr unbekannte Mann habe sie "zum Liegen gebracht, sich dann mit dem Knie auf mich gestemmt und weiter auf mich eingestochen". Liliana wurde bei dem lebensbedrohlichen Angriff im Bauchraum, am Hals, im Gesicht, am Kopf und an den Händen verletzt. Letztere wird sie wohl nie mehr "ganz genauso wie vorher" nutzen können, erklärt sie. Nur mit Glück habe sie überlebt. Der polizeibekannte Täter wurde nach der Attacke in die Psychiatrie eingewiesen. Der Prozess steht noch aus.
An all diejenigen, die "nur zum Selbstschutz" ein Messer mit sich führen, richtet Liliana deutliche Worte: "Lasst es bleiben. Verteidigen könnt ihr euch damit eh nicht - und im schlimmsten Fall schadet ihr einem gesunden Menschen."