Tenet
"Film verstehen" heißt ein Standardwerk des Filmwissenschaftlers James Monaco. Doch es gibt Werke der Kinogeschichte, an denen sich auch die elaborierteste Analyse die Zähne ausbeißen muss. Zu diesen Filmen zählt auch "Tenet", der am 16. September, um 22.15 Uhr im ZDF zu sehen ist. Die Galerie stellt zehn Lieblingsfilme für ein gepflegtes "Hä!?" vor.
© ZDF / © 2019 Warner Bros EntertainmentLetztes Jahr in Marienbad (1961)
Getriebene einer Vergangenheit, an die sie sich nicht erinnert: Delphine Seyrig spielt die Hauptrolle in "Letztes Jahr in Marienbad" (1961), einem der großen Rätsel der Kinogeschichte. Worum geht's? Um die sinnentlehrte Dekadenz der Haute-Volée? Um die Unmöglichkeit der Liebe oder gar der Kommunikation? Um die Künstlichkeit der Bilder? Oder schlicht um einen Fall von Amnesie?
© ARTE / Studio CanalLetztes Jahr in Marienbad (1961)
So einfach lässt sich das nicht sagen. Alain Resnais unternahm hier den Versuch, die Prinzipien des Noveau Roman ins Kino zu überführen. Nach einem Drehbuch von Alain Robbe-Grillet inszenierte er einen barocken Bilderrausch, in dem das menschliche Leben beinahe erstarrt. Interpretieren lassen sich die Impressionen, die in den bayerischen Schlössern Schleißheim, Nymphenburg und Amalienburg aufgenommen wurden, auf verschiedenste Weise.
© 2004 Getty Images/Evening StandardLetztes Jahr in Marienbad (1961)
Alain Resnais, ein Außenseiter in der Riege der jungen, stürmischen Nouvelle-vague-Filmemacher der 60-er, provozierte mit dieser Arbeit bei den Filmfestspielen in Venedig erst einen Eklat und gewann dann den Goldenen Löwen.
© 2006 Getty Images/Pascal Le SegretainAuch Zwerge haben klein angefangen (1970)
Die 60er- und (frühen) 70er-Jahre waren überhaupt eine Zeit munterer Kinoexperimente. 1970 drehte Werner Herzog, einer der jungen Wilden des Neuen Deutschen Films, mit gerade mal 200.000 US-Dollar Budget "Auch Zwerge haben klein angefangen", eine surrealistische Provokation des Publikums.
© Kinowelt (Arthaus)Auch Zwerge haben klein angefangen (1970)
Wie man das schräge, aber eindrückliche Treiben beschreiben soll? Vielleicht am ehesten als die Dekonstruktion herkömmlicher Erzählweisen und überkommener gesellschaftlicher Zwänge. Fun Fact: Nach einem Set-Unfall versprach Werner Herzog, in einen Kaktus zu springen, sollten alle die Dreharbeiten überleben. Der Regie-Abenteurer hielt Wort - und litt noch lange unter der Folgen.
© 2004 Getty Images/Frazer HarrisonDonnie Darko (2001)
Was war das bitte?! So oder ähnlich reagierte eine ganze Generation, als sie um die Jahrtausendwende zum ersten Mal "Donnie Darko" sah. Wenn einem ein riesiges Karnickel den Weltuntergang prophezeit, kann man - wie die vom jungen Jake Gyllenhaal verkörperte Hauptfigur (links) - schon mal am eigenen Verstand zweifeln. Das tat wohl auch ein Gros der Zuschauer, denen Regisseur Richard Kelly allerlei wild gemixte Storylines vorsetzte. Stichwort: Paralleluniversen!
© ProkinoDonnie Darko (2001)
Auch sonst scherte sich der mysteriöse Kultfilm nicht um den Seelenfrieden des Publikums, sondern mixt von Zeitreisen über die Apokalypse bis hin zur Teenage-Angst alles zusammen, was für Unruhe im Geist sorgt. Und für tausende Fragen nach Sinn und Bedeutung der Handlung: Auch über 20 Jahre später fasziniert "Donnie Darko" die Fans - exemplarisch zu sehen an diesem hübschen Hasen-Kostüm bei der ComicCon in L.A. 2019.
© 2019 Getty Images/Paul ButterfieldMulholland Drive (2001)
Ebenfalls 2001 erschien der laut Kritikermeinung bislang beste Film des 21. Jahrhunderts: "Mulholland Drive" von David Lynch. Mit dem komplexen Mystery-Thriller schuf der genialische Filmemacher ein Meisterwerk (im Bild: Justin Theroux), das schwer zu entschlüsseln und doch einfach zu lieben ist.
© StudiocanalMulholland Drive (2001)
Hier führte das Unterbewusstsein Regie, und die Logik sollte Hausverbot bekommen. Die blonde Betty (Naomi Watts) und die mysteriöse Rita (Laura Harring, Bild) suchen nach einem schrecklichen Unfall in Hollywood nach Erinnerungsfetzen: Lynch stellt in "Mulholland Drive" seine grausame, wirre und genial montierte Geschichte immer wieder auf den Kopf und bezieht auf raffinierte Weise die Zuschauer mit ein.
© ConcordeLost Highway (1997)
Dass rätselhafte Arbeiten keine Seltenheit im Oeuvre des Regie-Exzentrikers David Lynch sind, wissen nicht nur Filmnerds. Bereits 1997 erschien "Lost Highway". Wohin die dunkle Straße führt, scheint in dem albtraumhaften Sinnpuzzle allein der "Mystery Man" (Robert Blake) zu wissen. Auch wenn viele Proseminar-Studenten versucht haben, ihm auf die Schliche zu kommen.
© Concorde / Suzanne TennerLost Highway (1997)
Wird in dieser halluzinatorisch vernebelten Mördergeschichte ein Ödipuskomplex verhandelt oder der Kreis der ewigen Verdammnis symbolisch geschlossen? David Lynch (Bild) ließ wissen, er habe die Eingangssequenz selbst erlebt, ein Fremder habe ihm den Satz "Dick Laurent is dead" in die Gegensprechanlage geraunt und sei dann verschwunden. Das macht uns nicht schlauer.
© 2017 Getty Images/Antony JonesSolaris (1972)
Schwer zugänglich, aber gerade deshalb so faszinierend sind eigentlich alle Filme des Russen Andrei Tarkowski (1932-1986). Worum es geht, kann man kaum verstehen, höchstens fühlen. "Solaris" (1972), nach der gleichnamigen SciFi-Romanvorlage von Stanisław Lem, bildet keine Ausnahme. Es gleicht einem Ausflug in unbekannte philosophische Weiten ...
© ZDF / Progress Film VerleihSolaris (2002)
Die Handlung: Die Besatzung einer Forschungsstation verhält sich merkwürdig. Der Psychologe Kris Kelvin soll den Vorkommnissen auf den Grund gehen. Doch die beiden einzigen Überlebenden, die er vorfindet, reden nicht über das Vorgefallene. Hypnotisch, weitsichtig und ästhetisch huldigte Steven Soderbergh in seinem US-Remake (2002) mit George Clooney (Bild, mit Natascha McElhone) Tarkowskis Meisterwerk.
© vox / 20th Century Fox2001: Odyssee im Weltraum (1968)
Bahnbrechende Optik, zeitlose Themen: Seit Jahrzehnten hält "2001: Odyssee im Weltraum" die Zuschauer im Bann. Stanley Kubricks gewaltiges Sci-Fi-Meisterwerk von 1968 verrückte die Grenzen des Genres und stellte rätselhafte Fragen für die Ewigkeit. Zum ersten Mal erreichten filmische Zukunftsvisionen metaphysische Dimensionen und kreisten um die Suche nach dem Ursprung der Menschheit. Aber ganz ehrlich: Wer hat's wirklich verstanden?
© Sunset Boulevard/Corbis via Getty Images2001: Odyssee im Weltraum (1968)
Das Raumschiff Discovery ist unterwegs zum Jupiter, auf dem außerirdische Intelligenz vermutet wird. Doch Bordcomputer HAL tötet die Besatzung und lässt nur den Astronauten Bowman (Keir Dullea) am Leben. Er begegnet tatsächlich einer außerirdischen Macht, die ihn auf eine Reise durch Zeit und Raum schickt. Kein Wunder, dass bei so einem Setting die "2001"- Interpretationen zahlreiche Regalmeter füllen könnten.
© TNT Film / Warner Bros. EntertainmentInterstellar (2014)
Ein klares Vorbild an "2001" nahm sich Christopher Nolan 2014 in seinem Sci-Fi-Drama "Interstellar". Für die einen war es erster Linie ein fantastisches, sehr unterhaltsames Weltraumabenteuer - für viele andere zugleich ein riesiges Fragezeichen inmitten des Raum-Zeit-Kontinuums: Warum reiste Matthew McConaughey (Bild) als weltrettender Astronaut ins Schwarze Loch - nur, um im Kinderzimmer seiner Tochter herauszukommen?
© Warner / ParamountInterstellar (2014)
Während manche in der Verquickung aus Wurmlochreisen, Staubcodes und Vater-Tochter-Beziehung unlogischen Kitsch erblickten, galt "Interstellar" andernorts als tiefgehender philosophischer Wurf. Trotz - oder wegen - all der rätselhaften Bilder lohnt es sich, Augen und Geist für Verweise auf Meta- und Astrophysik offen zu halten. Die dahinterstehenden Theorien verstehen allerdings wohl die wenigsten ...
© 2014 Warner Bros.Tenet (2020)
Überhaupt ist Christopher Nolan ein verlässlicher Garant für ein gepflegtes "Hä?!". Das ging vielen Zuschauern im Labyrinth-Puzzle-Thriller "Inception" (2010) so - und auch im letzten Streich des Briten, "Tenet" (2020). Worum es geht? Das kapiert nach einmaligem Schauen wohl niemand. Nur so viel: So verrückt wie hier spielte Nolan mit seinem Lieblingsthema, der Zeit und der Manipulation derselbigen, noch nie.
© © 2019 Warner Bros. Entertainment, Inc. All Rights Reserved.Tenet (2020)
"Tenet" ist ein komplexer Film, in dem die Zeit mal vorwärtsläuft, nur um dann die Richtung zu wechseln, bis sie erneut Haken schlägt. Da werden Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eins, nur um wenig später in ihre Einzelteile zu zerfallen. Ob ein Studium der Quantenphysik dem Verständnis zuträglich wäre? Beruhigend jedenfalls, dass selbst der Produktionsdesigner das Drehbuch fünfmal durcharbeiten musste, bis er wusste, worum es geht.
© 2020 Warner Bros. Entertainment Inc.Pi (1997)
Auf das besondere Kinoerlebnis "Pi" (1997) muss man sich einlassen können. Radikal-Regisseur Darren Aronofsky verbindet in seiner 60.000 Dollar billigen Produktion Chaostheorie, Zahlenspielereien und die manische Gedankenwelt des Mathematik-Genies Max (Sean Gullete) zu einem verschlüsselten Ganzen, das eine ungeheure Sogwirkung entfacht.
© StudiocanalPi (1997)
Auch wenn das Verwirrspiel um Zahlen, Formeln und natürlich die titelgebende Zahl "Pi" gelinde gesagt unverständlich bleibt, schafft es Aronofsky mit beängstigend klaustrophobischen Schwarz-Weiß-Bildern das Schlingern der Hauptfigur zwischen Wahnsinn, Religion, Geldgier und Zahlenreihen physisch erfahrbar zu machen.
© Studiocanal