31.01.2025 von SWYRL/Marko Schlichting
Die Unionsparteien werden am heutigen Freitag wahrscheinlich erstmals ein Gesetz mit den Stimmen der AfD durch den Bundestag bringen. Bei "Maybrit Illner" im ZDF stellt Wirtschaftsminister Habeck die Kanzlerfrage. CDU-Generalsekretär Linnemann beantwortet sie nicht.
Der heutige Freitag könnte spannend, gar historisch werden. Die Unionsparteien wollen im Bundestag über das "Zustrombegrenzungsgesetz" abstimmen lassen. Die Zustimmung der SPD ist trotz Verhandlungsversuchen der Union fraglich. Sie hält das Gesetz in Teilen für verfassungswidrig. Es sieht unter anderem einen Stopp des Familienzuzuges von Menschen mit einem subsidiären Schutz vor. Das sind Migranten, die zwar kein Asyl in Deutschland bekommen haben, aber nicht in ihre Heimat zurückgeschickt werden können, weil dort ein Krieg tobt. Das war lange in Syrien der Fall, betrifft aber auch Migranten aus Libyen und anderen Ländern. Das Gesetz könnte den Bundestag unter anderem mit den Stimmen der AfD passieren. Kritiker warnen davor. Unter anderem die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Sie übte am Donnerstag in einem Brief heftige Kritik an Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz. Die Union hatte am Mittwoch einen Entschließungsantrag unter anderem mit den Stimmen der AfD durch den Bundestag gebracht, der eine deutlich härtere Asylpolitik fordert. Die Reaktion dürfte selbst Merz überrascht haben: Mehrere tausend Menschen demonstrierten am Donnerstag vor den Parteizentralen der Union, in einem offenen Brief stellen sich Hunderte Prominente gegen ihn.
Am Donnerstagabend geht es auch bei Maybrit Illner im ZDF um das strittige Verhalten der Union, vor allem bei der heutigen Gesetzesvorlage. Die Runde ist auffallend klein. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann ist dabei. Er versucht nach Kräften, die Wogen zu glätten. Doch so wirklich gelingt ihm das nicht.
"Wir stimmen nicht mit der AfD", sagt er. "Uns ist völlig egal, was die machen. Die Haltung von uns zu denen ist klar. Ich stimme für meine Überzeugung, und dafür bin ich gewählt worden als freier Abgeordneter. Wenn ich im Bundestag sitze und sage aus Angst vor der eigenen Courage oder aus Angst, dass irgendjemand zustimmen könnte, nicht meine Überzeugung, dann ist das kein demokratisches Parlament mehr." Wenn das Migrationsproblem nicht einmal im Ansatz gelöst werde, dann würden die Parteien am rechten und linken Rand profitieren und möglicherweise in vier Jahren die Regierung übernehmen. "Und das will ich nicht", so Linnemann.
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Habeck bohrt bei Linnemann nach
Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck ist sichtlich wütend. Immerhin hatte Friedrich Merz noch im November 2024 versprochen, keinen Antrag ins Parlament zu bringen, der mit den Stimmen der AfD entschieden werden könne. "Jeder Bundeskanzler sollte sein Wort halten, und das Wort ist gebrochen worden. Jetzt muss wieder Vertrauen hergestellt werden", fordert Habeck. Die Ausführungen Linnemanns bezeichnet der Wirtschaftsminister und Vizekanzler "strategisch naiv, politisch falsch und geschichtsvergessen". Und dann stellt er die wohl wichtigste Frage, die viele Menschen im Moment umtreibt: "Schließen Sie aus, dass Friedrich Merz sich mit den Stimmen der AfD zum Bundeskanzler wählen lässt?" und er fügt hinzu: "Wenn Sie sagen, das Richtige wird nicht falsch, wenn die Falschen zustimmen, dann gilt das ja wohl auch für die Kanzlerwahl. Das ist jetzt der Zeitpunkt, wo Sie sagen können, das wird in keinem Fall passieren."
Die Antwort Linnemanns lässt aufhorchen. "Friedrich Merz wird, wenn er Bundeskanzler wird, eine stabile Regierung nutzen wollen. Er wird eine stabile Mehrheit aus der Mitte haben. Mit dieser AfD werden wir nicht eine Sekunde zusammenarbeiten. Das ist eine in Teilen rassistische Partei. Sie wird Deutschland auch wirtschaftlich in den Abgrund führen, Stichwort Euro, Stichwort EU. Und diese Typen, diese AfD wird nicht mit uns zusammenarbeiten."
Das hatte Habeck aber gar nicht gefragt. Also hakt er nach: Er habe nicht gefragt, ob Union und AfD eine gemeinsame Koalition eingehen wollten. Ihm gehe es um die Wahl zum Kanzler. Die Antwort bleibt Linnemann schuldig.
"Was Sie diese Woche gemacht haben ist eine große Show, für die Sie einen sehr hohen Preis zahlen"
Juristin Sarah Tacke vom ZDF bringt es dann auf den Punkt: "Fakt ist: Sie haben am Mittwoch mit der AfD die Hand gehoben. Wie wir das nennen, ist egal. Das Signal ist entscheidend. Entscheidend ist auch, wofür Sie das getan haben. Die Abstimmung am Mittwoch war nichts weiter als ein Lippenbekenntnis. Das wird in der Migrationspolitik gar nichts verändern. Das ist eine Absichtserklärung. Das ist ein Nichts, das hat null Wirkung. Und was Sie am Freitag vorhaben, ist zwar ein Gesetz, aber eines, das keine Wirkung entfalten wird, weil es nicht durch den Bundesrat gehen wird. Was Sie diese Woche gemacht haben ist eine große Show, für die Sie einen sehr hohen Preis zahlen: Dass sie gemeinsam mit der AfD die Hand gehoben haben."
"Die Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo blickt anders auf die Diskussion. Er appelliert an die Parteien der Mitte: "Was wir in diesem Land bräuchten, wäre ein Ende dieser entsetzlichen Polarisierung am Beispiel der Migration. Wir bräuchten die Parteien der Mitte, die sich vernünftig zusammensetzen und überlegen, wie man Migration begrenzen kann." Die Politik habe seit Jahren ignoriert, was die Menschen empfinden. Deutschland sei kein rassistisches Land, sagt der Journalist. Viele Menschen empfänden es jedoch als Fehler, dass zu viele Migranten dieses Land nicht wieder verlassen würden. Das Problem müsse die Politik anfassen.
Das wäre vermutlich die Aufgabe von Friedrich Merz. Zwar hat die Union in den aktuellen Umfragen leicht verloren, liegt aber noch immer klar vorne. Doch Merz hat in dieser Woche sehr viel Vertrauen eingebüßt und mehr Porzellan zerschlagen, als er vermutlich selber wollte. Selbst in seiner eigenen Partei. "Was wir derzeit erleben wird dazu führen, dass rechte Hetzer davon profitieren", warnt zum Beispiel Berlins regierender Bürgermeister Kai Wegener.