09.11.2023 von SWYRL/Christopher Schmitt
Halle an der Saale im Ausnahmezustand: Bei einem Protestcamp von Umweltschützern eskaliert die Gewalt zwischen Jugendlichen und Polizei. Die neue ARD-Dramaserie "Wer wir sind" nimmt sich gleich einer Reihe brisanter Themen an.
Ein großer Pluspunkt: Die gelungene Dramaserie "Wer wir sind" holt den Zuschauer in Folge eins direkt ab - und startet nach einem kurzen Einstieg direkt ein in den verhängnisvollen Abend. In Halle an der Saale eskaliert innerhalb von wenigen Minuten die Situation zwischen friedlichen Umwelt-Aktivistinnen, Neo-Nazis, Autonomen und einer rücksichtslosen Polizei. Ein Mädchen wird durch einen Flaschenwurf schwer verletzt. Nachdem sich der Nebel verzogen hat, bleiben viele Fragen.
Wer hat die Flasche geworfen? Wer trägt die Schuld an der Eskalation? Hat der sozialpädagogische Ansatz der Stadt gegen Jugendkriminalität versagt? Das Erste zeigt die ersten drei der insgesamt sechs Episoden am Stück, die übrigen laufen am Freitag, 17. November. In der ARD-Mediathek ist das Coming-of-Age-Drama bereits ab Freitag, 10. November, abrufbar.
Im Zentrum der Serie steht unter anderem die 17-jährige Luise (Lea Drinda), die von ihrer Freundin Vanessa (Mina-Giselle Rüffer) zum Treffen der Umweltaktivistengruppe "Red Flag Halle" mitgenommen wird. Die Teenager im Protestcamp haben sich friedlichen Widerstand gegen das Greenwashing des Entsorgungsunternehmers Daniel Noll auf die Fahnen geschrieben. Doch der Tag endet in gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Jugendgruppen und den Einsatzkräften. Parallel zu dem Aufruhr finden Plünderungen statt, es kommt zu mehreren Festnahmen.
Als Hauptkommissarin im Einsatz: Luises Mutter Catrin (Franziska Weisz). Während sich Luise "Red Flag Halle" um die Jugendlichen Niklas (Joshua Hupfauer) , Pattie (Han Nguyen) und Felix (Chieloka Jairus) anschließt, will Catrin den Fall aufklären - und ihre Tochter schützen. Das sogenannte Haus des Jugendrechts (HDJ), das sich der Zusammenarbeit zwischen Polizei, Sozialarbeiter und Staatsanwälte verschrieben hat, gerät zunehmend unter Druck.
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Allzu beschauliches Halle an der Saale
Die Plot hangelt sich vor allem am Schicksal der beteiligten Teenager entlang: Luise könnte durch die juristischen Folgen ihres neuen Aktivismus ihr Stipendium in den USA verlieren, Felix wurde vom Polizisten Marco Tietze (Robin Sondermann) brutal auf den Boden gedrückt - aus rassistischen Motiven?
Aus der Riege talentierter Jungschauspieler tut sich Florian Geißelmann besonders hervor: Er verkörpert den Polizei-bekannten Dennis Petzoldt. Er wurde zu Hause vernachlässigt, wohnt in einer Jugend-WG und bediente sich während des Tumults ausgiebig in einem Kiosk. Geißelmann spielt das vielschichtige Schlüsselkind mit viel Herz.
Für die Figuren tun sich diverse moralische Dilemmata auf: Sie müssen sich entscheiden zwischen Idealismus und Zukunft, Loyalität zum Job samt fragwürdiger Kollegen oder zur Familie. Lobenswert: Beiläufig gelingt es der Serie, weitere gesellschaftlich brisante Punkte zu verhandeln oder zumindest anzuschneiden, ohne dass es gezwungen wird: Rassismus in der Polizei, die Probleme in sogenannten strukturschwachen Regionen und plumpes Ossi-Bashing in der Presse.
Da zwischen allen Erzählsträngen personelle Überschneidungen herrschen, bleibt der Serien-Kosmos zwar übersichtlich, doch erinnern die sozialen Geflechte etwas an eine Soap. So überschaubar wie hier dargestellt, kann Halle an der Saale - immerhin 240.000 Einwohner - kaum sein. Fast alle handelnden Personen kennen sich über mindestens eine Ecke persönlich. Das mag zwar der Dramatik förderlich sein, mutet in diesem Ausmaß jedoch teils befremdlich an.