10.02.2025 von SWYRL/Jens Szameit
Wenn Wähler "mit dem allen nicht mehr einverstanden" sind: Paul Ronzheimer geht in seiner neuen Reportage der wirtschaftlichen Abstiegsangst der Deutschen auf den Grund. Ob sie berechtigt ist oder eher diffus - von Frust, Wut und Verunsicherung scheint vor allem eine Partei zu profitieren.
Die ganze deutsche Wirtschaft liegt am Boden? Nicht die ganze! In Leonberg bei Stuttgart gibt es ein Unternehmen, das schwarze Zahlen schreibt wie noch nie in seiner Geschichte. Die Firma Scholpp ist spezialisiert auf Firmenumzüge ins Ausland. Das Geschäft boomt. Stolz zeigt einer der Geschäftsführer dem TV-Reporter einen Umzugs-Lkw, eine "fahrende Werkstatt".
Der Reporter schaut skeptisch: "Hat man da nicht das Gefühl, man hilft mit, Deutschland schwächer zu machen?" Der Trend fühle sich nicht gut an, bestätigt der Geschäftsführer. "Weil es halt ein Stück weit der Ausverkauf Deutschlands ist." Aber was will man machen? Der Umsatz des Umzugsunternehmens habe sich in den letzten sechs Jahren verdoppelt. Steigende Energiekosten und Überbürokratisierung trieben deutsche Firmen aus dem Land. "Man sieht Unternehmer mit Tränen in den Augen, die das tun."
Seit vergangenem Jahr dreht Paul Ronzheimer für SAT.1 Reportagen unter dem Titel "Wie geht's, Deutschland?". Sein dritter Film, der am Montagabend ausgestrahlt wurde, führte den hauptamtlichen "Bild"-Vize wieder durch ganz Deutschland. Seine Leitfragestellung diesmal: "Abstieg oder Aufstieg?" Es geht um die wirtschaftliche Lage im Land und was sie vom Rentner bis zum Firmen-CEO für den Einzelnen bedeutet. Begleitet von der Frage: Welche Auswirkung hat das individuelle Frust-Erleben auf die Wahlentscheidung am 23. Februar?
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"Was haben meine Kinder für eine Zukunft, wenn das alles so weitergeht?"
Herausgekommen ist ein Stimmungspotpourri zwischen Wut und Zuversicht, so bunt wie die aktuellen Umfragefolien der Demoskopen. Dort liegt die AfD laut sämtlichen Instituten bei rund 20 Prozent. Wie es so weit kommen konnte, dafür vermittelt einem die "Ronzheimer"-Reportage ein verblüffend griffiges Gespür.
Wie schnell Angst in eine vermeintliche Protestwahl kippen kann, sieht man im Kreuztal im Siegerland. Hier empfangen Daniel und Karoline den SAT.1-Reporter auf ihrer Wohnzimmer-Couch. Die Kinder des Ehepaares hüpfen durch den Bildhintergrund. Wie das alles weitergehen soll, wenn Daniel von der geplanten Werksschließung bei Thyssenkrupp betroffen sein sollte, wissen beide noch nicht. "Deutschland ist auf keinem guten Weg", sagt Karoline. "Manchmal denke ich mir, was haben meine Kinder für eine Zukunft, wenn das alles so weitergeht?"
Daniel erwägt, bei der Bundestagswahl die zu AfD wählen. "Was die sagen, das machen die auch", begründet er eine recht spekulative Überlegung. Seine Ehefrau neben ihm fällt ungläubig lachend aus allen Wolken: "Die AfD wählen wir auf gar keinen Fall! Ich hab ganz viel Angst davor, dass die weiter nach vorne dringt."
Neu-AfD-Wähler: "Die können doch mal beweisen, was sie können oder auch nicht können"
Auf einem Autohof bei Bremen steigt Ronzheimer bei Fernfahrerin Rosi ein. Die sitzt auch mit 75 noch auf dem Lkw, weil 1.000 Euro Rente nicht reichen. Die politische Lage hält sie für total verfahren. "Es wird nicht besser." Wen sie wählen will? "Meinen Freund, den Söder. Der kommt aus Nürnberg, und ich komme auch aus Nürnberg." Ronzheimer staunt: "So einfach ist es manchmal."
Allzu komplex sind auch die Argumentationsketten in der Trucker-Kneipe nicht, in die der Journalist Rosi begleiten darf. Fernfahrer Dirk outet sich als AfD-Wähler. "Die sagen, was Sache ist, ohne Brimborium. In meinem Gewerbe sehen das ganz viele so." Rosi wendet ein: "Die lügen aber!"
Der Einwurf hält aber auch Bauleiter Roland aus Ostdeutschland nicht von einem Plädoyer für die Rechtsaußenpartei ab. Roland verdient nach eigenem Bekunden "gutes Geld", hat mehrere Häuser und bis jetzt SPD gewählt. Diesmal wird's aber die AfD. Weil er sich nicht "bevormunden" lassen will, dass er in seine Häuser eine Wärmepumpe einbauen soll. Und weil ihn die "Brandmauer"-Diskussion nervt. "Warum lässt man die nicht mitregieren? Die können doch mal beweisen, was sie können oder auch nicht können."
"Mit dem allen, wat hier ist, bin ich nicht mehr einverstanden"
In Bottrop im tiefsten Ruhrgebiet spricht sich auch Constantin Buschmann, Eigentümer des Luxus-Tuners Brabus, gegen Regulierung und Verbote aus. Wählen will er die CDU, weil die FDP zu wählen aufgrund ihres geringen Einflusses eine "verschenkte Stimme" sei. "Ich habe keine Zeit, mich damit zu beschäftigen, wer sich in Deutschland an welcher Stelle beschwert", sagt der Unternehmer, der Cristiano Ronaldo zum Kundenkreis seiner Luxus-Karossen zählt. Es gehe jetzt um "Fortschritt, Wachstum und Erfolg".
Beim Imbiss treffen Ronzheimer und der jetsettende Auto-Tuner auf Rentner Manfred, der sich den beiden mit einer grenzwertigen Aussage über Schwarzafrikaner im Stadtbild vorstellt. Manfred hat eine "gute Rente, wo man 1.000 Euro Miete mit bezahlen kann" und selbst nie schlechte Erfahrungen mit Migranten gemacht. Aber, und der Satz spricht Bände: "Vieles nimmt man negativ aus den Nachrichten auf." Warum er nun genau die AfD wählt? "Mit dem allen, wat hier ist, bin ich nicht mehr einverstanden."
In Halle an der Saale finden sich ganz viele, die "mit dem allen" nicht mehr einverstanden sind. Hier tagt die Partei, die es so effektiv versteht, die Angst, den Frust und die Wut in Zulauf umzuleiten. Es ist jener Parteitag, bei dem später Elon Musk per Video-Botschaft sprechen wird. Im Foyer fragt Paul Ronzheimer eine AfD-Wählerin: "Warum glauben Sie, dass es mit der AfD anders würde?" Ihre Antwort darauf, allen Ernstes: "Ich bin auch ein Trump-Fan."
Ein Handwerksmeister erhofft sich von der AfD "Entlastung", hat aber noch nicht ins Wahlprogramm geschaut. Das sieht laut Berechnungen des ZEW-Wirtschaftsforschungsinstituts in Mannheim tatsächlich Entlastungen vor, aber nur für Besserverdiener. Geringverdiener hätten hingegen weniger in der Tasche. "Ich verlasse den Ort mit dem Gefühl, dass diese ganze Wut, die sich angestaut hat bei den Leuten, in eine Energie gegangen ist für die AfD", bilanziert Ronzheimer. Wirtschaftliche Lösungen habe er von der AfD aber nicht gehört.
Nur Robert Habeck sagt Ronzheimer ein Interview zu
Neben AfD-Chefin Alice Weidel hat Paul Ronzheimer für seinen Film auch Olaf Scholz, Hubertus Heil, Friedrich Merz und Robert Habeck angefragt. Ein Interview gibt ihm aber nur der Grünen-Kanzlerkandidat. "Ich sage nicht, wählt mich, und alle Probleme sind weg", erklärt ihm Habeck. "Die Leute, die das sagen, sagen nicht die Wahrheit." Dennoch sei er überzeugt, dass Deutschland "die Mittel und die Möglichkeiten" zum wirtschaftlichen Wiederaufstieg habe.
Sollte Habeck in diesen Wahlkampftagen Zeit finden, den fertigen Film anzuschauen, wird er sich vermutlich sehr über die Grünen-Wählerin Doreen Bergmann aus Zeulenroda freuen. In der thüringischen Kleinstadt haben bei der letzten Landtagswahl 37,2 Prozent die AfD gewählt. Streift man durch die geisterhafte Innenstadt mit ihren geschlossenen Geschäften, begreift man sofort, warum.
Doreen Bergmann aber hat sich von der Niedergangsstimmung nicht anstecken lassen und eine Patisserie eröffnet, in der das Leben blüht und die Kuchenkasse klingelt. "Ich bin radikal optimistisch", sagt die junge Erfolgsunternehmerin. "Wenn die Leute herkommen, fühlen die sich gut." Diskutiert wird in ihrem Laden auch über Politik. Die Menschen müssten aufhören zu warten, dass irgendwer es richten wird, sondern selbst die Probleme anpacken, findet Doreen. "Dann klappt es auch." Und überhaupt: "In welchem Land ist es besser?"
Paul Ronzheimer erkundigt sich baff: "Was sagen die anderen, wenn du mit solchen Argumenten kommst?" Doreen grinst: "Meistens nicht mehr viel."