11.02.2025 von SWYRL/Eric Leimann
Im "Tatort: Vier Leben", dem dritten Fall von Susanne Bonard (Corinna Harfouch) und Robert Karow (Mark Waschke), ermittelt das Duo im politischen Berlin zwischen Lobbyismus, Menschenrechten - und einem Killer. Aus den atemlosen 90 Minuten hätten andere wohl eine ganz Serienstaffel gemacht.
"Na klar kannst du mit mir rechnen" flirtet Jungpolitiker Jürgen Weghorst (Philipp Lind) auf einem Platz nahe der Berliner Friedrichstraße in sein Handy. Um mit einem Profi-Lächeln auf dem Gesicht von einem Sniper erlegt zu werden. Der Kopfschuss zu Beginn des "Tatort: Vier Leben" setzt den Ton für einen atemlosen Thriller, der die Kommissare Susanne Bonard (Corinna Harfouch) und Robert Karow (Mark Waschke) ins politische Berlin zu Lobbyisten, Menschenrechtsverletzungen und eben einem Killer führt.
Das Opfer liegt zu einem denkbar ungünstigen Moment im Zentrum Berlins herum, denn aus London hat sich Staatsbesuch angesagt: Die deutsche Hauptstadt bereitet sich auf den Besuch von King Charles vor. Die Sicherheitsvorkehrungen sind entsprechend hoch. Bonard und Karow spüren den Druck - unter anderem durch Staatsanwältin Sarah Taghavi (Jasmin Tabatabai), den Fall schnell zu lösen, um die Gefahrenquelle durch den Scharfschützen auszuschließen.
Das Opfer Jürgen Weghorst war bis vor kurzem das hoffnungsvolle Nachwuchsgesicht einer Partei - ehe er über einen Skandal stolperte. Zuletzt arbeitete er als Lobbyist für den Lebensmittelverband. Am Tag seiner Ermordung wollte Weghorst einem Journalisten ein exklusives Interview geben. Es könnte im Zusammenhang mit einem Untersuchungsausschuss stehen, welcher Weghorst zu einer Reise 2021 nach Afghanistan befragte. Der Trip fand kurz vor der schnellen Übernahme Kabuls durch die Taliban am 15. August jenes Jahres statt.
Menschenrechtsaktivistin Soraya Barakzay (Pegah Ferydoni) warf Weghorst öffentlich Fehler und schwere moralische Versäumnisse vor, als Kabul mit Maschinen der Bundeswehr evakuiert werden musste. Viele Ortskräfte der deutschen Behörden blieben damals zurück und fielen in die Hände der neuen Machthaber. Wollte sich Frau Barakzay an Weghorst für seine Taten rächen?
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Berlins Finten, Lobbyisten und Karriereregeln
Was Regisseur Mark Monheim ("Alles Isy") und das Drehbuch-Team um Thomas André Szabó ("Die Heiland") alleine in den ersten 20 Minuten des "Tatort"-Krimis auf die Beine stellen, daraus hätten andere eine ganze Staffel Agenten- oder Politthriller-Serie gemacht. Es geht um die SPD, die Linke, einen Lobbyverband, Afghanistan, Geheimnisverrat, die Bundeswehr und natürlich auch um König Charles.
Ein bisschen überfrachtet ist das Ganze, aber alles andere als unspannend erzählt. Zu Beginn des exzellent fotografierten Thrillers (Kamera: Jan-Marcello Kahl, "Herzogpark") erfolgt der Hinweis per Schrifttafel, dass der "Tatort" auf realen Ereignissen beruhe. Dabei geht es wohl um Ungereimtheiten rund um die Evakuierung der afghanischen Hauptstadt Kabul nach der überraschend schnellen Übernahme durch die Taliban 2021. Glücklicherweise gab es danach aber wohl keine Mordserie in Berlin - sodass ein gutes Stück des Films natürlich Fiktion bleibt.
Wenn deutsches Fernsehen sich ans Thrillergenre heranwagt, geht das nicht immer gut. Doch selbst wenn ein Zweiteiler wie 2023 zum Auftakt des Ermittler-Duos Karow/Bonard dem Stoff wohl gut getan hätte - schlecht ist die Geschichte nicht, die einem hier aufgetischt wird. Ein möglicher außenpolitischer Skandal trifft auf die Sitten des politischen Berlins mit seinen Finten, Lobbyisten und Karriereregeln, in der Wahrheit und menschlicher Anstand mitunter von dauerlächelnden Erfolgsgesichtern ausgehöhlt werden. Dass einige dieser Gesichter im Film plötzlich tot umfallen, könnte man als gerecht oder als dunklen Einbruch der Gewalt ins demokratische, wenn auch mackenhafte System empfinden. Was zählt hier: Auge-um-Auge oder die deutsche Rechtsstaatlichkeit? Karow und Bonard jedenfalls haben bisweilen Mühe, die durch den Killer bedrohten Personen aus ihrem PR-Sprech und selbigen Strategien herauszulösen, um deren Leben zu schützen.
Scharfschütze vs. Berliner Politbetrieb
In jenen Momenten, in denen Politik auf (fiktionale) Wirklichkeit trifft, um den Slogan einer deutschen Talkshow zu bemühen, ist der Berliner "Tatort" ziemlich stark. Wer den beißenden Zynismus des Ermittlers Robert Karows kennt, kann sich vorstellen, dass aus seinem Munde der ein oder andere Kommentar in Richtung seiner arroganten Schutzbefohlenen fällt. Leise Szenen halten sich im Nachfolger zum sehr schönen "Tatort: Am Tag der wandernden Seelen" über die Berliner Vietnam-Community jedoch in Grenzen.
Und doch gibt es eine Szene, in welcher der Berlin-Thriller einen ungeheuer empathischen Moment erzeugt: Als Susanne Bonard die ehemalige afghanische Richterin Soraya Barakzay verhört, übernimmt plötzlich die Befragende den Schmerz der Befragten, als es um den Verlust lieber Menschen in Kabul 2021 geht. Hier darf Corinna Harfouch in einer leicht surrealen, aber bärenstarken Szene zeigen, wozu die Ausnahme-Schauspielerin - im Zusammenspiel mit der ebenfalls guten Pegah Ferydoni - fähig ist. Vielleicht ja demnächst wieder in einem etwas leiseren Fall - ohne Staatsbesuch, Scharfschützen und Berliner Polit-Thrill.