24.01.2025 von SWYRL/Christopher Diekhaus
In der Rolle eines stark übergewichtigen Einsiedlers, der sich mit seiner entfremdeten Tochter aussöhnen will, legte Brendan Fraser 2022 ein furios-ergreifendes Comeback hin. Jetzt ist das Oscar-prämierte Drama "The Whale" als TV-Premiere im Ersten zu sehen.
Darren Aronofsky liebt es, anzuecken und sein Publikum herauszufordern. Er schlüpft gerne in die Rolle des Provokateurs. Das zeigte er etwa 2017, als er mit dem allegorisch aufgeladenen, ins Horrorhafte kippenden Beziehungsdrama "Mother!" kontroverse Reaktionen hervorrief. Angreifbar machte sich der eigenwillige Filmemacher auch mit seiner bislang letzten Leinwand-Inszenierung aus dem Jahr 2022, die jetzt im Rahmen der ARD-Reihe "KinoFestival im Ersten" TV-Premiere feiert. "The Whale", eine Adaption des gleichnamigen Theaterstücks von Samuel D. Hunter, handelt von einem stark adipösen Mann, der sich nach dem Tod seines Partners in die Isolation seines Hauses zurückgezogen hat.
Eben dieser Charlie (Brendan Fraser) lehrt online kreatives Schreiben und klebt dabei stets die Kamera seines Laptops ab, da er sich für sein Äußeres schämt. Engeren Kontakt hat er einzig zu seiner Krankenpflegerin Liz (Hong Chau), die ihm energisch ins Gewissen redet, endlich eine Klinik aufzusuchen. Denn seine Werte sind alarmierend schlecht. Unbehandelt dürfte sein Herz schon in Kürze schlapp machen. Charlie weigert sich jedoch hartnäckig. Schließlich habe er kein Geld, um eine aufwendige medizinische Betreuung zu bezahlen.
Dem Tod mehr und mehr ins Auge sehend, möchte er sich unbedingt noch mit seiner Tochter Ellie (Sadie Sink, "Stranger Things") aussöhnen. Die Teenagerin, die er seit acht Jahren nicht mehr gesehen hat, schaut allerdings nur widerwillig vorbei und lässt ihren Vater spüren, dass seine früheren Entscheidungen sie nach wie vor erzürnen. Einst verließ Charlie sie und ihre Mutter (Samantha Morton) nämlich für seinen inzwischen verstorbenen Lebensgefährten.
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Keine Freakshow
Aronofsky und Hunter, der auf Grundlage seines eigenen Bühnenwerks das Drehbuch schrieb, steigen in ihre thematisch durchaus knifflige Geschichte mit einer plakativen Szene ein, die böse Befürchtungen nährt: Charlie befriedigt sich beim Pornogucken selbst und erleidet durch den Stress einen heftigen Anfall. Der Boden für eine Freakshow scheint bereitet. Ein massiv übergewichtiger Mann als bizarre Attraktion - diesen Eindruck vermittelt "The Whale" in den ersten Minuten.
Voyeuristische Tendenzen sind nicht von der Hand zu weisen, hält die Kamera, auch im weiteren Verlauf, doch immer wieder auf den Schweiß auf seiner Stirn, seine fettigen T-Shirts und seinen unförmigen Körper drauf. Andererseits: Wie will man von einem adipösen Menschen und seinem Alltag erzählen, ohne ihn und seinen von Einschränkungen geprägten Alltag genauer zu zeigen?
Als Gegengewicht dient das ungemein sensible Wesen, das der Film nach und nach freilegt. Charlie bekommt eine echte Persönlichkeit, eine Vielschichtigkeit, die das Publikum mehr sehen lässt als einen großen, unbeweglichen Mann auf seinem Sofa. Zu verdanken ist das vor allem Brendan Fraser, der trotz aufwendigem Make-up kleinste Regungen sichtbar macht. Allein seine Augen erzählen oft genug, um in das Innerste des Protagonisten blicken und seine Kämpfe nachvollziehen zu können. Wie ein Stunt, um möglichst viele Preise einzuheimsen, wirkt die Oscar-prämierte Darbietung (Bester Hauptdarsteller, Bestes Make-up) nicht. Vielmehr hat man das Gefühl, dass sich der aus Blockbustern wie "Die Mumie" bekannte Schauspieler, der vor "The Whale" beruflich und privat eine schwierige Phase durchmachte, ehrlich für seine Rolle sowie die emotionale Verfassung seiner Figur interessiert.
Waschechtes Kammerspiel
Einen wichtigen Beitrag leisten auch Frasers Co-Stars. Hong Chau strahlt als einzige Helferin und Freundin eine starke Mischung aus energischer Entschlossenheit, Sorge und tiefer Verbundenheit aus, während Sadie Sink Ellie eine glaubwürdige Wut verpasst. Ihr und Chaus Zusammenspiel mit Fraser bringt einige wahrhaft berührende Momente hervor.
Formal ist "The Whale" sehr konsequent. Der Film macht keinen Hehl aus der Bühnenherkunft und konzentriert sich fast ausschließlich auf Charlies abgedunkeltes, unordentliches Haus. Verstärkt wird die klaustrophobische Atmosphäre durch ein fast quadratisches Bildformat. Seit dem Tod seines Partners ist die Welt des Dozenten dramatisch zusammengeschrumpft.
Was trotz guter Schauspielleistungen auffällt: Erzählerisch verheddert sich der um menschliche Niedertracht, echte Hilfsbereitschaft und Vergebung kreisende Film mehrfach, auch weil er etwas vollgestopft daher kommt. Der Strang um den jungen Missionar Thomas (Ty Simpkins) zum Beispiel erscheint zu forciert, um wirklich zu fesseln. Nicht unüblich für Aronofsky rauben dem Geschehen im Finale zudem einige arg pathetische Gesten ein Stück Ausdruckskraft. Es mag eine Floskel sein, aber hier wäre weniger wirklich mehr gewesen.