03.02.2025 von SWYRL/Rupert Sommer
Die vom NDR produzierte Dokumentation, die ARTE in Erstausstrahlung zeigt, beleuchtet die Veränderungen in Großbritannien nach dem EU-Austritt. Es ist eine bittere Bilanz - in Zeiten, in denen Zusammenhalt wichtiger wäre denn je.
Es ist ein hartes, aber eindeutiges Urteil, das der renommierte britische Historiker Timothy Garton Ash in der neuen ARTE-Dokumentation "Brexit Blues - Fünf Jahre nach dem EU-Austritt" fällt. "Der Brexit war eindeutig der überflüssigste Akt nationaler Selbstverstümmelung in unserer Geschichte", sagt er. Dabei verweist er auf eine Bilanz der einst mit großem Tamtam eingeführten Maßnahmen, die mit recht durchwachsen noch sehr vorsichtig beschrieben wäre. ARTE zeigt den vom NDR produzierten Beitrag des Filmautors und England-Kenners Sebastian Bellwinkel in Erstausstrahlung.
Angetreten waren politische Spitzenpolitiker wie zunächst David Cameron und später der ebenfalls von der konservativen Tory-Partei gestellte Premierminister Boris Johnson mit dem vollmundigen Versprechen. Unter anderem hieß es, dass das Königreich nach dem Austritt aus der EU, die auf den Inseln von der oft spitzzüngigen Presse gern als Bürokratie-Moloch karikiert wurde, verstärkt Kontrolle über die eigenen Geschicke zurückerlangen würde.
Tatsächlich sind aber viele Zwänge, denen sich auch der britische Staat stellen muss, weiterhin stark von der Außenpolitik bestimmt. Und Probleme, die eigentlich gelöst werden sollten, verursachten nur neue, weitaus gravierendere Probleme. So stiegen in Zeiten neuer Zolldebatten viele Lebenshaltungspreise in Großbritannien, es kam zu Supermarkt-Engpässen, und der Arbeitskräftemangel ist hoch.
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Wie wenige von Keir Starmers "Neustart" zu spüren ist
Zuletzt war die Hoffnung groß, dass zumindest die neue Labour-Regierung unter Premierminister Keir Starmer, die seit Juli 2024 reagiert, das gebeutelte Land zu Erleichterungen, bestenfalls sogar zu einer Wiederannäherung an die EU führen könnte. Starmer versprach einen "Neustart". Die Realität sieht anders aus. Großbritannien steckt in vielen Schwierigkeiten und erweist sich als Land voller Widersprüche.
"Aktuell in den Umfragen ist es so, dass sich eine Mehrheit der Briten grundsätzlich eine Rückkehr in die Europäische Union wünscht", sagt Filmautor Sebastian Bellwinkel. Grund ist "die wirtschaftlich desolate Lage, in der sich das Königreich befindet". Der Wunsch nach einer möglichen Brexit-Rücknahme sei insbesondere bei den Labour-Wählern groß - mit Umfrage-Zustimmungen von weit über 70 Prozent in dieser Gruppe, so Bellwinkel. "Es war das große Versprechen, die große Illusion, dass nun alles besser werden würde, wenn man nicht mehr in der EU wäre", sagt er bedauernd. "Da haben sie mal ganz gewaltig mit Zitronen gehandelt."
Veränderungen tatsächlich herbeizuführen, gestaltet sich aber als schwer. Dies ist umso bedauerlicher, weil internationaler, auch europäisch-nachbarschaftlicher Zusammenhalt aktuell wichtiger wäre denn je - angesichts der geopolitischen Bedrohungen des Westens und des noch unklaren Kurses, den der künftige US-Präsident Donald Trump einschlagen wird. Es könnte wirklich Anlass zum titelgebenden "Brexit Blues" geben: Die Bestandsaufnahme wirft kein besonders zuversichtliches Licht auf die Zukunft der europäisch-britischen Beziehungen.
Immer häufiger wirft der Schlingerkurs Fragen auf - auch bei anglophilen Freunden. "Tatsächlich ist es schwer zu erkennen, was die Briten wirklich wollen", sagt in der Doku Nathalie Louiseau, aktuell EU-Parlamentarierin und ehemalige französische Europaministerin. Regelrecht alarmiert wirkt Timothy Garton Ash, der den Brexit stark bedauert. "Wenn wir ein starkes Europa schaffen wollen, braucht man alle Mann an Deck. Dann müssen auch die Briten dabei sein", sagt er.