30.12.2024 von SWYRL/Maximilian Haase
Eine Hose, die Modewelt zu revolutionieren: Die Miniserie "Levi Strauss und der Stoff der Träume" erzählt die bewegende Lebensgeschichte des Erfinders der Jeans. Der ARD-Vierteiler changiert zwischen Biopic, Wild-West-Romantik und Sittengemälde der Auswanderergesellschaft im 19. Jahrhundert.
Kaum ein Kleidungsstück verkörpert Freiheit, Pragmatismus und Individualität so sehr wie die Bluejeans. Als Symbol des "American Dream" wurde und wird sie getragen von Arbeitern und Intellektuellen, von Punks und Hollywoodstars, von Cowboys und Silicon-Valley-Ikonen. Eine Hose, die als großer Gleichmacher Mode, Popkultur und Alltag revolutionierte - und von der heute weltweit jährlich 250 Millionen verkauft werden. Trotz ihrer Popularität wissen wohl nur wenige, wie die Jeans das wurde, was sie heute ist. Die ARD-Miniserie "Levi Strauss und der Stoff der Träume" widmet sich nun der Entstehungsgeschichte dieses globalen Phänomens und erzählt vom Aufstieg eines jüdischen Emigranten aus Bayern zum Gründer einer Weltmarke. Dabei ist der Vierteiler mehr als nur Biopic: Vor Wild-West-Kulisse zeichnet er ein Sittenbild der US-Auswanderer im 19. Jahrhundert - und liefert dabei manche hochaktuelle Erkenntnis über Migrationsgesellschaften.
Im Mittelpunkt der Handlung steht der glaubhaft von Vincent Redetzki verkörperte Levi Strauss, ein junger Stoffhändler, der Mitte des 19. Jahrhunderts aus dem oberfränkischen Buttenheim mit Hoffnung auf ein besseres Leben in die USA emigriert. Als Jude muss er vor wachsendem Antisemitismus und der sozialen Unterdrückung im Königreich fliehen. "Juden in Bayern unterlagen strikten Restriktionen durch den König, ein beruflicher Aufstieg war schon per Gesetz nicht möglich", erklärt Produzent Robert Marciniak den gut recherchierten historischen Hintergrund, der von den europäischen Umwälzungen 1848 über Migrationsströme und den kalifornischen Goldrausch bis hin zum Siegeszug von Kapitalismus und Industrialisierung reicht. Nur ab und an interpretiert die Serie die Geschehnisse etwas kreativer ("Frei nach wahren Begebenheiten").
Auf seiner Reise trifft Levi auf Jacob Davis (Anton von Lucke), einen lettischen Schneider, mit dem ihn eine Vision eint: Etwas Neues zu schaffen, das die Bedürfnisse der Goldgräber und Arbeiter erfüllt. Ihre Erfindung: eine mit Kupfernieten verstärkte Arbeitshose aus Denim, die strapazierfähiger nicht sein könnte. Man lernt als unbefleckter Zuschauer dabei allerhand - etwa dass der Ausdruck "Denim" von der ursprünglichen französischen Herkunft des Stoffes "aus Nîmes" ("de Nîmes") abgeleitet ist.
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"Alles dreht nur um Korruption und politische Machtkämpfe"
Bevor es aber so weit ist, heißt es "Go West": Nach einer Zwischenstation in New York, wo seine Halbbrüder bereits im Textilhandel tätig sind, verschlägt es Levi nach Kalifornien. San Francisco, ein Schmelztiegel aus Kulturen und Ambitionen, geprägt von Korruption, Gewalt und Aufstiegsträumen, ist ein ambivalenter Sehnsuchtsort: "Ich habe in dieser Stadt gelernt, meinen Kopf einzuziehen und das Spiel mitzuspielen", gesteht die Hauptfigur an einer Stelle. "San Francisco war eine der spannendsten Städte in dieser Zeit", beschreibt Regisseurin Vollmar die brodelnde Atmosphäre, die Kameramann Armin Dierolf ebenso einzufangen versteht wie die Weite der Landschaften und die Enge der Goldgräbercamps. Wären da nicht die etwas lieblos animierten CGI-Elemente, die dann doch eher an Vorabend-Doku-Fiction erinnern.
Inmitten dieser Kulisse wird Levi mit den düsteren Seiten des "American Dream" konfrontiert: "Die Welt hier ist grau", sagt er, "es gibt keine Gesetze, keine Gerechtigkeit. Alles dreht sich nur um Korruption und politische Machtkämpfe". Besonders deutlich wird dies in der Figur des skrupellosen J.C. Eddy (Roland Koch), der als Gegenspieler eine Gesetzlosigkeit verkörpert, die den erbarmungslosen Siegeszug des Kapitalismus prägte und bis heute dessen Grundlage bildet. Wo Profitstreben alles und Moral wenig gilt, so zeigt dieser vergleichsweise klischeehafte Charakter ("Das ist meine Stadt"), ist die Mafia nicht weit.
Natürlich - wir befinden uns ja in einer ARD-Produktion - darf auch das gute Gewissen nicht fehlen: Journalist Jude William (Golo Euler) möchte Levi helfen und die Machenschaften des bösen Ausbeuters aufdecken. Ja, wer in diesem Halbwilden Westen bestehen will, muss hart sein. Das gilt auch für die starken und sympathischen weiblichen Figuren, insbesondere Levis pragmatische Schwester Fanny (Amy Benkenstein) und Jacobs engagierte Ehefrau Annie (Lea van Acken), die jene Herausforderungen symbolisieren, denen sich Frauen in einer von Männlichkeit geprägten Epoche stellen mussten.
"Wir brauchen dringend positive Erzählungen zum Thema Migration"
Von der Ausbeutung in den Manufakturen über die Kämpfe um Emanzipation bis hin zur gesellschaftlichen Spaltung durch den Sezessionskrieg - das Drehbuch von Robert Krause und Neele Leana Vollmar verknüpft die Geschichten der Figuren und ihren historischen Hintergrund mit politischen und gesellschaftlichen Konflikten. Die Regisseurin möchte die Zuschauer "in eine Welt entführen, die durch viele politische und auch gesellschaftliche Umbrüche geprägt war". Auch sonst scheint die Serie hochaktuell: "Wir brauchen dringend positive Erzählungen zum Thema Migration, um dem vorherrschenden, blinden Hass etwas entgegenzusetzen", stellt Hauptdarsteller Vincent Redetzki eine Verbindung zur aktuell brisanten Debatte her.
Wo die Serie von Dreck und Hass und Korruption erzählt, knüpft sie durchaus an realistisch erzählte Western-Stoffe wie "Deadwood", "The Sisters Brothers" oder das "Yellowstone"-Franchise an. Von der Tiefe und Perfektion solcher US-Vorbilder ist "Levi Strauss und der Stoff der Träume" derweil weit entfernt. Zu oft kippt die Geschichte ins Melodramatische oder Kitschige, zu überzeichnet wirken manche Charaktere, zu eindeutig ihre Funktionen in der Story. Hinzu kommt ein zu gewollt moderner Soundtrack, der das Tempo der Serie zwar unterstützt, aber stellenweise irritiert.
Und doch verfolgt man die klassische Heldenreise der Figuren gern, bestaunt ihre beeindruckenden Kostüme und die detaillierte Kulisse. Zu sehen gibt es allerhand: Wild-West-Schießereien, dramatische Aufstände und Liebesgeschichten, Cowboyromantik und jüdische Hochzeiten mitten in der Prärie. Gedreht wurde in Italien, wo Turin zu San Francisco und Südtirol zur Goldgräber-Landschaft wurde - ganz in der Tradition des Italo-Western.
"Die Dreharbeiten waren die schönsten, die ich je hatte", schwärmt Vincent Redetzki, und man merkt dem Ensemble diese Harmonie schauspielerisch durchaus an. Am Ende schließlich steht eine Erkenntnis, deren Ergebnis der geneigte Zuschauer womöglich gerade an den Beinen trägt: "Diese Hose ist genial!"