Skandale am roten Teppich
Die Filmwelt blickt einmal mehr nach Berlin, wenn am 13. Februar die 75. Ausgabe der Berlinale startet. Man darf mit großer Filmkunst rechnen - und vielleicht auch wieder mit dem einen oder anderen Aufreger? Die Galerie blickt zurück auf die größten Berlinale-Skandale wie diese Aufsehen erregende Aktion von Shia LaBeouf.
© Clemens Bilan/Getty Images1952: Orson Welles zieht "Othello" zurück
Bereits im zweiten Jahr hatten die Internationalen Filmfestspiele von Berlin ihren ersten Aufreger: Filmemacher Orson Welles stand aufgrund teurer Herzensprojekte kurz vor der Pleite. In Europa war der "Citizen Kane"-Macher (1941) dennoch ein gern gesehener Gast. Im Bild schminkt sich Welles gerade als "Othello", denn ...
© L Waldorf/Getty ImagesDie kalte Schulter des Meisters
... das gleichnamige Werk war 1952 sein neuester Streich. Auch die Berlinale wollte sich deshalb mit dem Filmgenie schmücken. Doch die Ausschussmitglieder waren sich uneins. Denn: Welles äußerte sich zuvor schlecht über Nachkriegsdeutschland, es folgte die Ausladung. Als man den damals 36-Jährigen dann kurz vor Festspielbeginn doch haben wollte, zeigte er Berlin die kalte Schulter.
© ARD / Degeto1961: Die "Busen-Berlinale"
Mehr als nur Dekolleté ließ 1961 Jayne Mansfield hervorblitzen. Ein kalkulierter Skandal, galt sie seinerzeit doch ohnehin als freizügige Ikone. Als ihr aber bei einer Berlinale-Party auch noch das Kleid vor einer Schar anwesender Fotografen platzte, rief die Presse - teils pikiert, teils belustigt - die "Busen-Berlinale" aus.
© Evening Standard/Getty Images1964: Schwedisches Vergewaltigungsdrama
1964 sorgte eine schwedische Produktion auf der Berlinale für Aufsehen: "491" sollte im Wettbewerb antreten, ein Drama um schwererziehbare Jugendliche. Sex-Szenen wurden darin sehr drastisch dargestellt, und dass aus Opfern oft Täter werden, nicht verschwiegen. Festivaldirektor Alfred Bauer zog den Film aus Angst vor Kritik zurück.
© Media Target Distribution1970: Film sorgt für Abbruch
Noch mehr sexualisierte Gewalt: 1970 lief "o.k." von Michael Verhoeven (im Bild mit Ehefrau Senta Berger) im Wettbewerb. Darin stellen vier Schauspieler Bairisch sprechend, doch als amerikanische Soldaten verkleidet, die Vergewaltigung eines vietnamesischen Mädchens während des dortigen Krieges dar. Das Mädchen wurde damals gespielt von ...
© Keystone Features/Hulton Archive/Getty ImagesChaos bricht aus
... Eva Mattes (Bild). Nach der ersten Aufführung protestierten Jurymitglieder, das Premieren-Kino Zoo-Palast wurde besetzt gehalten. Einige Filmemacher zogen ihre Beiträge zurück, sodass das Berlinale-Komitee sich gezwungen sah, die Filmfestspiele abzubrechen - das erste und einzige Mal in seiner langen Geschichte. Es folgten Reformen.
© Hannes Magerstaedt/Getty Images1974/75: Die Ostannäherung
Mit "Jakob der Lügner" von Frank Beyer wurde 1975 erstmals eine DDR-Produktion gezeigt. Prompt gewann der heutige Filmklassiker einen Silbernen Bären. Ein Jahr zuvor war bereits mit "Mit dir und ohne dich" eine sowjetische Komödie in Berlin außer Konkurrenz zu sehen gewesen. Aus heutiger Sicht (k)ein Skandal: Die Springer-Presse hetzte etwa gegen die vermeintliche Ostpropaganda.
© Icestorm1976: Pornografie-Vorwurf - wieder
Ein Jahr danach konfiszierte die Staatsanwaltschaft den japanischen Beitrag "Im Reich der Sinne". Der Vorwurf: Pornografie. Das Festival besaß aber eine zweite Kopie des expliziten Films von Regisseur Nagisa Oshima - unter anderem ist eine menschliche Kastration zu sehen. Gezeigt wurde der Streifen dann halb öffentlich. Erst zwei Jahre später gab der Bundesgerichtshof "Im Reich der Sinne" frei.
© Concorde1979: Erneut Brutales aus Vietnam
Abermals sorgte ein Film über den Vietnamkrieg beinahe zum Abbruch des Festivals. Denn die immer größere Ostblock-Delegation zog 1979 sowohl Filme als auch Jurymitglieder ab, da im selben Jahr "Die durch die Hölle gehen" außer Konkurrenz gezeigt wurde. Der Film mit Christopher Walken (im Bild) und Robert De Niro in den Hauptrollen beleidige das Volk Vietnams, hieß es von sowjetischer Seite.
© Hulton Archive/Getty ImagesErklärung folgt auf Erklärung
Auch die auf sieben Köpfe geschrumpfte Jury um Julie Christie diskutierte heiß über den Film. Dort war man mit der einseitigen Darstellung im später fünffach oscarprämierten Kriegsfilm ebenfalls nicht einverstanden. Erklärungen um Erklärungen wurden veröffentlicht - und die Filmfestspiele gingen weiter.
© Kinowelt1986: RAF-Drohungen
Die dritte RAF-Generation trieb gerade ihr Unwesen, als auf der Berlinale Reinhard Hauffs Film "Stammheim" 1986 im Wettbewerb antrat. Darin unter anderem zu sehen: Therese Affolter als Ulrike Meinhof und Ulrich Tukur als Andreas Baader. Das Berlinale-Gremium befand sich sprichwörtlich unter Beschuss ...
© ZDF / Kinowelt / Frank BrühneDie Bild und Gina sagen: nein!
Springer-Presse und Co. sahen in dem Film linke Propaganda, es kam gar zu Morddrohungen gegen Jurymitglieder. Auf den Zoo-Palast wurde ein Buttersäure-Anschlag verübt. Und als der Film auch noch den Goldenen Bären gewann, machte Jurypräsidentin Gina Lollobrigida (im Bild) bei der Preisübergabe klar, dass sie mit der Wahl nicht einverstanden sei.
© Aubrey Hart/Express/Getty Images1995: Robert Downey Jr. stänkert
Robert Downey Jr. (links) kam 1995 nach Berlin, um den Historienstreifen "Restoration - Zeit der Sinnlichkeit" vorzustellen. Eigentlich. Doch der damals unter Alkohol- und Drogeneinfluss gerne rüpelhaft auftretende New Yorker nutzte lieber die ihm gegebene Zeit, um Schauspiel- und Filmkollegen Hugh Grant (rechts) in die Pfanne zu hauen: "Er ist am Boden. Ich bin spitze", brüstete er sich.
© Getty Images2000: Kreisch-Chaos wegen DiCaprio
Der damalige Teenie-Schwarm Leonardo DiCaprio sorgte 2000 für einen Teenie-Aufstand. Mit "The Beach" wollte er sich freischwimmen vom damaligen "Titanic"-Hype. Doch das gelang dem Oscargewinner damals ganz und gar nicht.
© Brenda Chase / Getty ImagesAlle wollen Leo
Wohl noch nie bildeten sich so viele Backfischtrauben rund um die roten Teppiche der Festspieltage. Und da eine Berliner Zeitung den jungen Mädchen auch noch 1.000 Mark versprach, sollten sie Leo abknutschen können, war DiCaprio eigentlich nur dabei zu sehen, wie er versuchte, die Verehrerinnen abzuschütteln und sich wegzuducken.
© 20th Century Fox2000: Moritz de Hadeln muss gehen
Moritz de Hadeln (Bild) stand 22 Jahre der Berlinale als Festival-Direktor vor, von 1980 bis 2001. Und eigentlich galt sein Vertrag auch noch zwei weitere Jahre. Doch der Schweizer bekam im April 2000 die vorzeitige Kündigung ausgehändigt, nach der Berlinale 2001 war Schluss. Ein Zerwürfnis mit dem damaligen Kulturstaatsminister Michael Naumann war wohl der Grund des äußerst undurchsichtigen Rauswurfs.
© MJ Kim/Getty ImagesDieter Kosslick übernimmt
Der Vorwurf: Er amerikanisiere und glamourisiere die größten Filmfestspiele Deutschlands zu sehr - Leo DiCaprio lässt grüßen! Selbst bezeichnete de Hadeln die Kündigung als "absoluten Affront" und "stillos". Ab der Berlinale 2002 hielt Festival-Leiter Dieter Kosslick (hier gemeinsam mit de Hadeln 2010) das Zepter in der Hand.
© Sean Gallup/Getty Images2001: Berlinale wieder anzüglich
"Eine mutige Entscheidung" nannte es de Hadeln bei seinen letzten Filmfestspielen, "Intimacy" mit dem Goldenen Bären auszuzeichnen. Wieder einmal stand der Pornografie-Vorwurf im Raum. Die Aufregung über den expliziten Film von Patrice Chéreau (im Bild) spielte sich aber nur in der Öffentlichkeit und Presse ab.
© Sean Gallup/Getty Images2004: Enthüllungen um Sibel Kekilli
2004 ging es erneut um Schlüpfriges. Allerdings nicht im Zusammenhang mit allzu freizügigen Szenen in einem Wettbewerbsbeitrag. Diskutiert wurde vielmehr die Vergangenheit von Sibel Kekilli. Die Hauptdarstellerin von Fatih Akins Hauptwettbewerbs-Gewinner "Gegen die Wand" spielte zwischen 2001 und 2002 in mehreren Schmuddelfilmen mit, was die Boulevardpresse auf den Plan rief.
© Sean Gallup/Getty ImagesUnd jetzt: internationaler Star
Während der Berlinale 2004 gab es kaum ein anderes Thema, immer weitere Enthüllungen sollten die Darstellerin diskreditieren. Am Ende setzte sich die Kunst durch, Kekilli gilt als Ex-"Tatort"-Kommissarin und mit internationalen Auftritten wie in "Game of Thrones" als etablierte Schauspielerin.
© Getty Images/Dimitrios Kambouris2005: Zieht Bai Ling blank?
Ein Jahr später rief die "Bild" erneut einen Skandal aus. Der Grund: Dieter Kosslick hatte die chinesische Schauspielerin Bai Ling in die Jury berufen. Bekannt für ihre aufreizenden Auftritte, sorgte die damals 38-Jährige immer wieder für Aufsehen. Unter der Überschrift "Berlin-nackte" beobachtete die Presse genau, was auf dem Roten Teppich vor sich ging.
© Sean Gallup/Getty Images2006: "Gewalt-Sex schockt die Berlinale"
2006 schielten alle Augen auf den deutschen Beitrag "Der freie Wille", ein Vergewaltigungsdrama von Matthias Glasner mit Jürgen Vogel in der Hauptrolle. Die Schlagzeilen waren abermals reißerisch, die "B.Z." wollte mit "Gewalt-Sex schockt die Berlinale" am Kiosk punkten. Vogel erhielt für seine Darstellung eines Triebtäters schließlich den Silbernen Bären.
© Sean Gallup/Getty Images2010: Roman Polanski bekommt Preis im Hausarrest
Der Vergewaltigungsvorwurf gegenüber Roman Polanski besteht seit 1977: 33 Jahre später schickte er - unter Hausarrest stehend und aus Angst vor der Auslieferung an die USA - von seinem Schweizer Chalet aus den Film "Der Ghostwriter" ins Berlinale-Rennen.
© Adam Nurkiewicz/Getty ImagesProduzenten springen ein
Spätestens als man den Polen für seine Regiearbeit am Ende des Festivals auszeichnete, war die internationale Boulevard-Presse zur Stelle: Die Entscheidung sei keine künstlerische, sondern rein kollegial, hieß es. Polanskis Produzenten Robert Benmussa (links) und Alain Sarde (Mitte) nahmen den Preis im Berlinale Palast trotzdem gerne stellvertretend entgegen.
© Sean Gallup/Getty Images2011: Echter Agententhriller?
Bei Russlandkritik ist nicht zu spaßen: Ein Notebook, auf dem die Endfassung des Films "Der Fall Chodorkowski" um den namensgebenden, einst inhaftierten Kreml-Kritiker (Mitte) enthalten war, wurde kurz vor dessen Premiere in Berlin aus dem Büro von Regisseur Cyril Tuschi gestohlen.
© BR / lala Films / Cyril TuschiLangfinger vom russischen Geheimdienst?
Nicht das erste Mal, dass das Putin-kritische Werk dem Filmemacher abhandenkam: Zuvor wurden Kopien während eines Hotelaufenthalts auf Bali entwendet. Tuschi (im Bild) konnte seinen mit Spannung erwarteten Film schließlich trotzdem zeigen. Wer hinter den Diebstählen steckte, bleibt nach wie vor im Dunkeln.
© Farbfilm2014: Shia LaBeouf setzt Tüte auf
2014 produzierte Shia LaBeouf einen Skandal auf dem Roten Teppich. Mit einer Tüte auf dem Kopf inklusive der Aufschrift "I am not famous anymore" lief er bei der Premiere des Lars-von-Trier-Films "Nymphomaniac" über den Roten Teppich. Als wäre der Film mit seinen expliziten Sexdarstellungen nicht schon Schocker genug, benahm sich LaBeouf auch am Tag zuvor daneben ...
© Clemens Bilan/Getty ImagesKryptisch auf Pressekonferenz
Mit der einstigen Rücktrittsverkündung des französischen Ex-Fußballers Eric Cantona - "wenn die Möwen dem Fischkutter folgen, tun sie das, weil sie denken, dass Sardinen ins Meer geworfen würden" - auf den Lippen, sprengte der "Transformers"-Star die Pressekonferenz und verschwand zugleich wieder.
© Andreas Rentz/Getty Images2019: Die Neuen
Die Premiere des neuen Leitungsduos Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian begann 2019 mit ersten Skandälchen: Ein Hongkonger Demokratie-Aktivist forderte einen Boykott, weil er vermutete, dass es ein Film Ai Weiweis auf Druck Chinas nicht ins Programm geschafft habe. Jury-Präsident Jeremy Irons sah sich wegen früherer Aussagen Sexismus- und Homophobie-Vorwürfen ausgesetzt, während die NS-Vergangenheit des ersten Berlinale-Leiters Alfred Bauer für Aufsehen und das Aussetzen des nach ihm benannten Preises sorgte.
© Alexander Janetzko / Berlinale 20192021: Stiller Skandal
2021 gab es unter Pandemie-Bedingungen nur eine virtuelle Light-Version der Berlinale, ein kleiner Aufreger war trotzdem dabei. Im Fokus: "The First 54 Years" von Regisseur Avi Mograbi (Bild). Unter anderem die "Welt" prangerte den Dokumentarfilm als vermeintlich Israel-feindliche Propaganda an. Einen großen öffentlichen Aufschrei gab es jedoch nicht in dieser Zeit, als die ganze Welt nur über Corona sprach.
© Getty Images/Dominik Bindl2024: Kritik oder "untragbare Relativierung"?
Auch die Berlinale 2024 blieb nicht ohne Skandal. Der US-Filmemacher Ben Russell (rechts neben Kollege Guillaume Cailleau) ging bei der Preisverleihung mit einem Palästinensertuch auf die Bühne und sprach mit Blick auf das israelische Vorgehen im Nahost-Konflikt von "Genozid". Vom Publikum gab es dafür Applaus. Berlins Bürgermeister Kai Wegner verurteilte den Vorfall am nächsten Tag als "untragbare Relativierung".
© 2024 Getty Images/Sebastian Reuter2025: Fortan kein Drama mehr?
Nur sechs Jahre hatten Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek die Berlinale-Leitung inne, bevor sie den Stab an Tricia Tuttle weitergaben. Die US-Amerikanerin feiert dieses Jahr Einstand. Es ist ein Meilenstein, noch nie war eine Frau alleine an der Spitze des Festivals. Sie wolle, dass es dieses Jahr "kein Drama gibt und dass alle über Filme sprechen", sagte sie im Vorfeld des Festivals. Man darf skeptisch sein.
© 2025 Getty Images/Maja Hitij