Wotan Wilke Möhring im Interview zu "Weil wir Champions sind"

"Inklusion und derartige Begriffe sind oft nichts weiter als schöne Worte"

22.05.2022 von SWYRL/Elisa Eberle

In der VOX-Komödie "Weil wir Champions sind" spielt Wotan Wilke Möhring einen ehrgeizigen Bundesligatrainer, der ein Team aus kognitiv beeinträchtigten Basketballern trainieren soll. Ein Gespräch über die harmonischsten Dreharbeiten seiner Karriere und die Frage, warum Begriffe wie Inklusion eigentlich überflüssig sind.

Er ist einer der gefragtesten Schauspieler Deutschlands. Seit nahezu 25 Jahren steht Wotan Wilke Möhring in den unterschiedlichsten Rollen vor der Kamera: ob als Hauptkommissar Thorsten Falke im Hamburger "Tatort" (NDR) oder zuletzt als besorgter Familienvater in der Katastrophenserie "Sløborn" im ZDF. Den, wie er sagt, "harmonischsten Dreh" seiner Karriere brachte Möhring, der am 23. Mai seinen 55. Geburtstag feiert, jedoch erst im vergangenen Jahr hinter sich: In der Komödie "Weil wir Champions sind" (Mittwoch, 25. Mai, 20.15 Uhr, VOX sowie vorab bei RTL+) spielt er einen Basketballtrainer der Bundesliga, der nach einer nächtlichen Promillefahrt Sozialstunden ableisten muss: Er soll ein Team aus neun kognitiv beeinträchtigten Basketballspielern für die Regionalliga fit machen. Im Interview schwärmt Möhring von den besonderen Drehbedingungen und erklärt, warum es Worte wie "Inklusion" eigentlich gar nicht braucht. Außerdem verrät der Vater dreier Kinder, welche Rolle Toleranz in seiner Erziehung spielt, und welche Auswirkungen die Corona-Pandemie auf das allgemeine Toleranzempfinden hatte.

teleschau: Sieg und Niederlage sind ein zentrales Thema in "Weil wir Champions sind". Sind Sie ein guter Verlierer?

Wotan Wilke Möhring: Wenn ich alle meine Möglichkeiten eingebracht habe und weiß, dass ich gerecht verliere, weil der andere besser ist, dann ja. Natürlich geht es in einem Wettbewerb immer ums Siegen und Gewinnen. Ein nachtragender Verlierer bin ich nicht.

teleschau: Für Ihre Figur ist das Gewinnen das Wichtigste auf der Welt. Wie reagieren Sie auf derart leistungsbesessene Menschen in Ihrem Umfeld?

Möhring: Wenn das wirklich stark ausgeprägt ist, finde ich es traurig und bemitleidenswert. Aber ich versuche auch nicht, einen solchen Menschen irgendwie ständig umzustimmen. Die, die mich kennen, wissen sowieso, dass mich das überhaupt nicht beeindruckt. Manche sind vielleicht auch ganz froh, dass sie bei mir einfach so sein dürfen, wie sie wirklich sind. Denn das andere ist ja auf Dauer auch ziemlich anstrengend.

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"Wir tun immer so, als wären wir stolz auf unser Anderssein"

teleschau: Für den Film standen Sie mit neun kognitiv beeinträchtigten Menschen vor der Kamera, die noch keine Schauspielerfahrung hatten. Wie empfanden Sie die Dreharbeiten mit so vielen Laien?

Möhring: Es war eine sehr tolle Erfahrung, weil es eine sehr behutsame Herangehensweise war und der harmonischste Dreh, den ich jemals gemacht habe: Das sind Menschen, die wir sogenannten Normalos in eine abwertende Schublade stecken, weil sie uns so besonders anders erscheinen und wir sie ausschließlich auf ihre von uns so bewerteten kognitiven Einschränkungen reduzieren. Dass diese Menschen das selber gar nicht so empfinden, sondern einfach so sind, wie sie sind, und alle anderen ebenso wenig, ist sehr beeindruckend. Wir als Team haben so oft den Spiegel vorgehalten bekommen und erkannt, dass wir uns selber mit dieser ganzen Normierung nur beschränken und um Erfahrungen ärmer machen. Diese Menschen wiederum kennen diese Normierung gar nicht und brauchen sie auch nicht.

teleschau: Was meinen Sie?

Möhring: Wir sind alle anders. Wirklich alle und sei der Unterschied auch noch so gering. Warum aber maßt sich dann eine Gruppe, die sich "normal" nennt und die sich für den einzigen Maßstab hält, an, vorzugeben, wie jemand anderes zu sein hat? Wenn einer Downsyndrom hat, dann sehen wir nur noch das Downsyndrom, dann sehen wir gar nicht mehr den Menschen dahinter. Wir tun immer so, als wären wir stolz auf unser Anderssein, aber in Wirklichkeit feiern wir das gar nicht.

"Wir fragten uns beschämt, warum wir nicht immer so harmonisch drehen"

teleschau: Sie sagten der Dreh sei eine besondere Erfahrung gewesen. Was lief besser oder auch schlechter als bei einem rein professionellen Cast?

Möhring: Besser und schlechter gab es für mich gar nicht. Wir wurden beschenkt und durften Erfahrungen sammeln. Wir fragten uns beschämt, warum wir nicht immer so harmonisch drehen, warum wir nicht immer Ruhe bewahren, warum wir nicht immer so viele Drehtage haben, warum wir nicht auf Harmonie bedacht sind. Druck und Stress gab es nicht und durfte es nicht geben. Das hat uns allen super gutgetan. Wir haben uns alle von Anfang an geliebt, und es war der tränenreichste Abschied seit langem.

teleschau: Das klingt, als würden Sie jederzeit für eine Fortsetzung vor der Kamera stehen?

Möhring: Hundertprozentig, ja! Die Geschichte kann in ihrer Bedeutung gar nicht hoch genug angesetzt werden. Natürlich waren die Produktion und der Castingprozess etwas aufwendiger, weil man Menschen finden musste, denen man Basketball in dieser Form beibringen kann. Außerdem mussten sie uns so weit entgegenkommen können, dass sie sich nicht nur in unserer bescheuerten normalen Welt, sondern eben auch noch in der noch künstlicheren Filmwelt zurechtfinden.

Der Mensch ist der Mensch, und jeder leistet seinen Beitrag.

teleschau: Haben Sie auch persönlich etwas aus den Dreharbeiten mitnehmen können?

Möhring: Das mache ich immer. Jeder Tag, der nichts Neues bringt, ist für mich ein verlorener Tag. Oftmals merken wir gar nicht, was wir neues wahrnehmen oder wie viel Veränderung von uns abverlangt wird. Aus diesem Projekt habe ich ganz viel mitgenommen, vor allem aber die Erkenntnis, in welchen Bereichen WIR als selbsterkorene Maßgabe selbst "behindert" sind: im sozialen Umgang, in der wahrhaften Inklusion. Allein, dass wir ein Wort wie Inklusion überhaupt brauchen! Ich finde es das Normalste der Welt, andere Menschen willkommen zu heißen.

teleschau: Wie genau müsste sich die Inklusion Ihrer Meinung nach verbessern?

Möhring: Es ist immer leichter, aus mangelndem Mut, aus Gewohnheit oder was auch immer, Dinge so zu machen wie immer und damit dem Instrument Angst immer mehr Raum zu geben. Aber wer nichts wagt, kriegt auch nichts zurück. Ich finde es erschreckend, dass die Bereitschaft, diese Menschen im Alltag genauso selbstverständlich willkommen zu heißen, einfach nicht da ist. Stattdessen gibt es pränatale Bluttests, eine Entwicklung, die dazu führt, dass diese Menschen aus dem Straßenbild verschwinden werden. Warum müssen sich Eltern tausendmal fragen: "Bin ich bereit, das auf mich zu nehmen?" Warum gibt es nicht Mittel und Wege, Institutionen und eine wahrhafte Integration, die unsere Gesellschaft bunter machen? Da muss man ganz viel grundsätzlich ändern, indem man zum Beispiel auch Begegnungen herbeiführt - immer und immer wieder. Damit diese Angst keine Angst bleibt. Denn die Angst, etwas falsch zu machen, rührt daher, dass wir den Umgang mit diesen Menschen nicht kennen. Wir haben Angst vor etwas Neuem. Diese Angst sehen wir in allen Bereichen, sei es im Umgang mit anderen Kulturen oder mit anderen Ideologien.

teleschau: Haben jüngere Generationen hier durch inklusive Grundschulen, in denen verschiedene Kinder miteinander lernen, einen Vorteil?

Möhring: Das hoffe ich! Wobei ich dabei bleibe, dass Inklusion und derartige Begriffe oft nichts weiter sind als schöne Worte: Wir lavieren herum, weil wir für alles Schubladen und Labels brauchen. Dabei wäre das Einzige, was hilft, diese einfach mal wegzulassen. Der Mensch ist der Mensch, und jeder leistet seinen Beitrag. Doch wir lassen diese Menschen gar nicht erst zu Wort kommen, sondern sprechen für sie, damit wir uns besser fühlen. Ich glaube allerdings schon, dass die folgende Generation einen wachen Blick entwickelt für ihre Umwelt: Es ist ja auch die Generation von Greta Thunberg, die die Elterngeneration an die Vernichtung des Planeten erinnert, und das ist schon peinlich genug.

"Es ist unser großes Defizit, dass wir zu wissen glauben, wie Toleranz sein soll"

teleschau: Wie schätzen Sie die Lage in der Filmbranche ein: Glauben Sie, dass dort künftig mehr beeinträchtigte Menschen ihren Platz finden werden?

Möhring: Das wäre natürlich ein wünschenswerter Schritt in einen solch inklusiven Alltag. Aber wir sind so regelkonform, dass wir immer erst für alles Quoten brauchen. Die entscheidende Frage ist allerdings: Ist die Entscheidung für einen solchen Menschen auch für den Film wichtig oder ist es nur für mich selbst ein korrekteres Label, welches ich mir anheften kann? Es wäre natürlich schön, wenn der geeignetste Kameramann führt und nicht einfach nur der, der die Quote erfüllt. Dennoch hoffe ich, dass unser Film zum Umdenken anregt, bei Fragen wie: "Wer bestimmt, was normal ist?" und "Wo verläuft die Grenze von normal?" Der Film hat den Vorteil, dass er das Ganze mit Humor transportiert. Das ist etwas, das uns grundsätzlich leichter fällt.

teleschau: Sie sind Vater dreier Kinder: Welche Rolle spielt Toleranz in Ihrer Erziehung?

Möhring: Jeder sollte die Chance haben, seine Möglichkeiten für sich zu entdecken. Das heißt, ich versuche schon, meine Kinder überlebensfähig zu machen. Denn das Ziel von Erziehung ist ja, dass uns die Kinder irgendwann nicht mehr brauchen sollen. Man sollte immer da sein, wenn sie dich brauchen. Aber ich gebe ihnen nicht vor, wie etwas zu sein hat.

teleschau: Das heißt, Toleranz kommt für Sie aus der Persönlichkeit und ist nicht erlernbar?

Möhring: Natürlich ist sie auch erlernbar. Ich glaube, sie ist sogar natürlich vorhanden und selbstverständlich, wird aber durch ein falsches Idealbild immer weiter abtrainiert. Du kannst sie deinen Kindern nur vorleben, sonst werden sie es dir auch nicht abnehmen. Im Grunde ist ja unser großes Defizit, dass wir zu wissen glauben, wie Toleranz sein soll, anstatt den anderen einfach so sein zu lassen, wie er ist.

"Die Mauer in den Köpfen verschwindet erst allmählich"

teleschau: Welche Auswirkungen hatte die Pandemie und die Maßnahmen zum Schutz der Schwachen auf unser Toleranzempfinden? Wird die Fürsorge durch diese Erfahrung künftig wachsen?

Möhring: Das ist meistens gar nicht Fürsorge, sondern egoistische undifferenzierte Angst. Es reicht, wenn ich sehe, wie ein Riss durch die Familien geht zwischen Geimpften und Ungeimpften. Das ist traurig! Wir bevorzugen mehr die Grenzen als das Verbindende. Natürlich gibt es in den Verlautbarungen immer mehr Toleranz, Inklusion etc. Die Frage ist aber, ob sie auch wahrhaftig gelebt wird. Wenn ich mir anschaue, wie in anderen Kulturen mit "anderen" Menschen umgegangen wird, dann haben wir da noch großen Lernbedarf.

teleschau: Wie könnten wir diese Gräben in Zukunft wieder überbrücken?

Möhring: Wir dürfen nicht immer nur die Unterschiede suchen und vor allem diese dann nicht als unüberwindbare Grenzen verstehen. Wenn ich allein an die Ost-West-Beziehung der Deutschen denke: Die Mauer in den Köpfen verschwindet erst allmählich durch die nachrückende Generation! Die Gräben und die Grenzen entstehen vor allen Dingen in unseren Köpfen. Die gibt es gar nicht wirklich. Das ist meistens hausgemacht. Und alle diese Ängste baue ich nur durch Begegnungen und tatsächlichen Austausch ab. Und diese Begegnungen können überall stattfinden: Warum schicke ich nicht zum Beispiel Kindergärten in Altenheime? Da hätten beide Seiten etwas davon!

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